Eine 40 Quadratmeter große, gläserne Wand trennt den touristischen Betrieb im Westwerk vom gottesdienstlichen Geschehen in der Kirche. Auf Knopfdruck wird sie aber auch in Sekundenschnelle zur Projektionsfläche für eine spektakuläre Film-Zeitreise in die Klostergeschichte des heutigen Welterbes: Diese grandiose Idee ist nur eine der großen Weichen, die Professor Dr. Christoph Stiegemann für die zeitgemäße Erschließung des Welterbes Corvey gestellt hat. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus würdigt diese herausragenden Leistungen jetzt mit der Corvey-Verdienstmedaille.

Professor Dr. Christoph Stiegemann ist mit der Corvey-Verdienstmedaille ausgezeichnet worden. Im Bild Josef Kowalski (vorne von links), Landrat Michael Stickeln, Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek, Professor Dr. Christoph Stiegemann mit Ehefrau Claria Stiegemann und Vize-Bürgermeisterin Andrea Dangela sowie (hinten von links) Cornelius Stiegemann (Sohn), Weihbischof Matthias König und Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek und geschäftsführender Kirchenvorstand Josef Kowalski haben dem ehemaligen Direktor des Diözesanmuseums Paderborn die hohe Auszeichnung verliehen. Den festlichen Rahmen bildete der traditionelle Johanni-Gottesdienst für das Pastoralteam und die Ehrenamtlichen aus den Kirchenvorständen und Pfarrgemeinderäten des Pastoralverbunds Corvey. Viktor Herzog von Ratibor und Fürst von Corvey, Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und öffentlichem Leben sowie Angehörige, Freunde und Weggefährten des Professors komplettierten den Kreis der Gäste in der ehemaligen Abteikirche.
Weihbischof Matthias König aus Paderborn zelebrierte die Eucharistiefeier und richtete den Scheinwerfer gleich zu Beginn auf Professor Stiegemann, Pfarrdechant Krismanek und Kirchenvorstand Kowalski: Sie hätten Corvey zu dem gemacht, was dem Welterbestatus gerecht wird.

Feierlicher Moment in der ehemaligen Abteikirche Corvey Professor Dr. Christoph Stiegemann nahm die Corvey-Verdienstmedaille der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus aus den Händen von Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek (links) und Kirchenvorstand Josef Kowalski entgegen.
Josef Kowalski ließ in seiner Laudatio auf Professor Stiegemann keinen Zweifel daran: Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus habe nach der Welterbe-Anerkennung eine Erfolgsgeschichte in der Weiterentwicklung Corveys geschrieben. Diese habe Professor Stiegemann – ein wahrer Überzeugungstäter – in herausragender Weise mitgestaltet.
Herausragende Ausstellungserfahrung
Zu den Eckpfeilern der publikumswirksamen Aufwertung der Welterbestätte gehören die mit seinem Namen verbundenen museumsdidaktischen Neuerungen in karolingischen Westwerk. Diese sind inzwischen am Start: die virtuelle Renaissance der ursprünglichen Ausgestaltung des Johanneschores im Obergeschoss seit 2023 und das immersive Film-Erlebnis auf der intelligenten Glaswand im Erdgeschoss seit der laufenden Saison.
Über diese innovativen digitalen Formate hinaus hat Professor Stiegemann auch seine „herausragende Ausstellungserfahrung“ (Josef Kowalski) in Corvey eingebracht: Die Dauerausstellung der Schätze der Kirchengemeinde in den Räumen des Schlosses erfuhr unter seiner Ägide einen fulminanten Relaunch – unterstützt von einem kompetenten Team mit der Kunsthistorikerin Dr. Anne Veltrup, dem Innenarchitekt Ludger Schwarze-Blanke und der langjährigen Sammlungskuratorin des Diözesanmuseums, Ursula Pütz.
Die Schau führt die Gäste von den mittelalterlichen Anfängen an durch das Jahrtausend der Mönche in Corvey und wurde im März 2024 glanzvoll eröffnet. Mit dem Bonifatiuswerk verwirklichte Stiegemann schließlich die Idee eines zeitgenössischen Osterbildes für den barocken Hochaltar der ehemaligen Abteikirche. Auch an diese jüngste Offensive erinnerte Laudator Josef Kowalski.
Gut Ding will Weile haben in Corvey
In einem Denkmal von so hohem Rang will gut Ding natürlich Weile haben. Das gilt für Corvey ganz besonders. Acht Jahre dauerte die Realisierung der digitalen Erlebnis-Angebote zur Vermittlung der Alleinstellungsmerkmale des bis heute einzigen Welterbes in Westfalen. „Es gibt kein Projekt in meiner 40 Jahre langen Berufslaufbahn, das so viel Zeit erfordert hat“, bilanzierte Professor Stiegemann.

„Ich bin überwältigt“: Professor Stiegemann brachte seine Freude über die Verleihung der Verdienstmedaille zum Ausdruck.
Diese Zeit begann, wie Josef Kowalski zurückschaute, schon unmittelbar nach der Welterbe-Anerkennung – als die Abtrennung des Westwerks vom Sakralraum der Kirche im Managementplan festgeschrieben war und Professor Stiegemann die geniale Idee der Zusatz-Funktion der Glaswand als Projektionsfläche hatte. „Es war ein langer steiniger Weg, bis die Auflagen des Denkmalschutzes erfüllt waren“, erinnerte Kowalski an den Vorlauf der denkmalrechtlichen Genehmigung der Glaswand.
Professor Stiegemann habe beharrlich Kurs gehalten und zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen Annika Pröbe (Historikerin und heutige Standortleiterin für das Westwerk und die Abteikirche) und Dr. Anne Veltrup die Film-Zeitreise inhaltlich konzipiert, berichtete Josef Kowalski. Parallel dazu habe er mit ihnen die ursprüngliche farbige Ausgestaltung des Johanneschors rekonstruiert und ihr zur neuen – virtuellen – Blüte verholfen.
Best-Practise-Beispiele
Schon im Entstehungsprozess fanden beide Projekte in internationalen Kreisen Gehör – bei einer Tagung im November 2019 in Paderborn und Corvey beispielsweise. In dem Symposion ging es um „Neue Technologien zur Vermittlung von Welterbe“. Das wissenschaftliche Kompetenzteam mit Christoph Stiegemann an der Spitze präsentierte die Ideen für Corvey so überzeugend, dass sie aus der Tagung mit renommiertem Teilnehmerkreis als Best-Practise-Beispiel hervorgingen.
Zu der Zeit war Professor Stiegemann noch Direktor des Diözesanmuseums. Fünf glanzvolle große Sonderschauen hatte er kuratiert, so Josef Kowalski. Die letzte war Peter Paul Rubens und dem Barock im Norden gewidmet. Parallel dazu sein Einsatz für Corvey nach der Welterbe-Anerkennung: „Diese Jahre waren für Professor Stiegemann gewiss eine höchst intensive Zeit seines Schaffens.“
2020 verabschiedete sich der Ausstellungsmacher dann in den Ruhestand. Und blieb der Welterbestätte am Weserbogen fest verbunden, „bis 2024 sogar vertraglich für unsere Kirchengemeinde“, erinnerte der Kirchenvorstand. In seine Würdigung schloss Kowalski auch die von Stiegemann initiierte Gründung des Fördervereins „Karolingsiches Westwerk“ im März 2020 und seine wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung des laufenden Bauprojekts zur barrierefreien Erschließung des Johanneschores von dem an das Westwerk angrenzenden Domänengebäude aus.
Offensiven bringen Stern zum Leuchten
All die Offensiven bringen Corveys Stern zum Leuchten und sind, wie der Kirchenvorstand noch einmal bekräftigte, „wahrlich eine großartige Erfolgsgeschichte für unsere Kirchengemeinde“. Professor Stiegemann habe sie maßgeblich gestaltet – „mit ausgeprägter wissenschaftlich-fachlicher Befähigung, kreativ und innovativ im Denken und Handeln, dabei konsequent, beharrlich, wenn erforderlich auch hartnäckig und mit ‚kantigem Kopf‘, immer auf die Sache und das Ziel orientiert und kompromissbereit – also immer ein ‚Corvey-Überzeugungstäter‘“.
Die Realisierung sei nur dank umfangreicher Fördermittel des Bundes, des Landes, der NRW-Stiftung, des Erzbistums und des Bonifatiuswerks möglich gewesen, unterstrich der Kirchenvorstand. Und „weil wir Professor Stiegemann an unserer Seite hatten, aber auch seine Mitarbeiterinnen Annika Pröbe und Dr. Anne Veltrup sowie begleitend auch unseren Architekten Albert Henne und in der Pfarrverwaltung unseren Verwaltungsleiter Marcus Beverungen und Ute Jochmaring.“

Professor Stiegemann und Georg Pietsch, der die Medaillen-Schatulle geschaffen hat. Dem Ideenreichtum des Tischlers und Ingenieurs ist es zu verdanken, dass sich das Inlett mit der Medaille schrägstellen und am Deckel befestigen lässt. Der Geehrte ist begeistert.
Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek ordnete die von Professor Stiegemann und seinem Team in die Wege geleitete Erschließung des Westwerks während seiner Predigt auch als Gewinn im Dienst der Verkündigung ein. Denn es sind auch die Glaubensbotschaften der Mönche, die den Gästen mit den digitalen Angeboten vermittelt werden. Von Christoph Stiegemann habe er den Goethe-Satz „Man sieht nur, was man weiß“ gelernt, sagte der Geistliche. Dem Aphorismus entsprechend habe der Wissenschaftler in Corvey eine Sehschule geschaffen und die steingewordene Botschaft des Evangeliums mit den Mitteln unserer Zeit zum Sprechen gebracht. Das Publikum lerne, zu sehen, dass die Mönche vor mehr als 1200 Jahren an der Weser einen Ort geschaffen haben, „an dem der Himmel die Erde berührt“ und an dem der Glaube bis heute gelebt wird.
Funken sprühende Laudatio
Der Geehrte selbst zeigte sich überwältigt: von der würdigen Atmosphäre dieses Festtages und auch von der „Funken sprühenden“ Laudatio Josef Kowalskis. Corvey sei gut aufgestellt, bleibe aber immer – wie das wissenschaftliche Kompetenzteam 2017 eine Publikation zu seinen Planungen betitelt hat – „Work in progress“. Das Welterbe am Weserbogen erfahre jetzt „endlich die Dynamik, die wir uns gewünscht haben“.
In seinen Dank an die Weggefährten dieser Erfolgsgeschichte bezog Professor Stiegemann ausdrücklich den 2021 verstorbenen Baubeauftragten des Erzbistums für Corvey, Franz-Josef Beine, ein. Er habe einen wesentlichen Anteil an der Ertüchtigung Corveys und „wäre zweifelsfrei ein Aspirant für die Verdienstmedaille gewesen“.
Beifall des Publikums unterstrich diese Einschätzung. Immer wieder erklang auch Szenenapplaus, als Josef Kowalski und Christoph Stiegemann die Meilensteine der Erfolgsgeschichte seit der Welterbe-Anerkennung Revue passieren ließen.
„Genialer und innovativer Holzwurm“
Die Verdienstmedaille in Händen haltend, dankte der Träger der Auszeichnung auch dem Kirchenvorstandsmitglied Georg Pietsch: Der Tischler und Ingenieur hat die Medaillen-Schatulle aus Kirschbaumholz geschaffen und so konstruiert, dass Professor Stiegemann das Inlett aufklappen und am Deckel befestigen kann. So lässt sich die Medaille anschauen. Der Geehrte ist hellauf begeistert: Georg Pietsch, der auch die Wechselhilfe für die Hochaltar-Motive erfunden hat, sei der „genialste und innovativste Holzwurm Corveys“.

Mit einem Erinnerungsblatt an den Tag der Verleihung der Verdienstmedaille machte Ditmar Fischer (links) Professor Stiegemann eine Freude.
Der Numismatiker und Briefmarken-Experte Ditmar Fischer aus Stahle, dem die 20-Euro-Silbermünze anlässlich des Corvey-Jubiläums zu verdanken ist, überraschte Professor Stiegemann beim Empfang nach der Auszeichnung mit einem Erinnerungsblatt zum festlichen Tag der Ehrung. Dieses enthält die individuelle Jubiläums-Briefmarke Corveys von 2022 mit tagesaktuellem Poststempel vom 24. Juni 2025.
Abgebildet auf dem Erinnerungsblatt sind auch die Vorder- und Rückseite der von dem internationalen Schriftkünstler Brody Neuenschwander aus Brügge zeitlos und ansprechend entworfene Verdienstmedaille. Professor Stiegemann ist nach Josef Risse (18 Jahre im Kirchenvorstand) und Dr. Birgitta Ringbeck (Motor und Kopf der erfolgreichen Welterbe-Bewerbung Corveys) der dritte Träger der hohen Auszeichnung. Beide waren jetzt bei der Verleihung vor Ort.
Die Einschätzung Stiegemanns, das Corvey „work in progress“ bleibt, unterstrich Josef Kowalski beim Empfang mit konkreten Vorhaben. Die Lichtkonzeption für das Westwerk stehe ebenso auf der Agenda wie das ambitionierte Projekt zur Untersuchung der Corveyer Reliquienbestände. Außerdem solle die barrierefreie Erschließung des Johanneschores möglichst zur Saisoneröffnung 2026 abgeschlossen sein. Restauratorisch ist auch immer zu tun in Corvey. Das einzige Welterbe in Westfalen hält also, auch wenn museumsdidaktisch das Haus bestellt ist, immer wieder neue Aufgaben bereit.