AKTUELLPresse

Mit dem Tablet ins Corvey der Karolingerzeit

By 25. April 2023Juli 11th, 2023No Comments

Im karolingischen Westwerk der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey bricht eine Zeitenwende an. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus bringt im Laufe des Juni die virtuelle Renaissance des Johanneschores an den Start. Mit Hilfe digitaler Tools erblüht die erhabene Emporenkirche im Obergeschoss des Westwerks in ihrer ursprünglichen Imposanz neu.

Der Johanneschor des karolingischen Westwerks war zu seiner Erbauungszeit ein Feuerwerk aus Formen und Farben. Als solchen sehen ihn die Gäste auf dem Bildschirm eines Tablets. Foto: Kirchengemeinde Corvey

Der Johanneschor des karolingischen Westwerks war zu seiner Erbauungszeit ein Feuerwerk aus Formen und Farben. Als solchen sehen ihn die Gäste auf dem Bildschirm eines Tablets. Fotos: Kirchengemeinde Corvey

Der Johanneschor ist die Herzkammer der Welterbestätte. Die Herzen der Gäste werden an diesem hochbedeutenden Ort bald höherschlagen. Denn auf dem Bildschirm eines Tablets wird an authentischer Stelle das, was die Führerinnen und Führer mit Worten beschreiben, in seiner Großartigkeit sichtbar. „Augmented Reality“ (erweiterte Realität) macht es möglich. Diese Technologie zeigt, wie die Wand, vor der man steht, früher ausgesehen hat.

Die Museumsführerinnen und Museumsführer der Welterbestätte werden die Gäste im Johanneschor des karolingischen Westwerks durch die Zeitreise mit dem Tablet geleiten. Standortleiterin Annika Pröbe (links) und der Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde, Professor Dr. Christoph Stiegemann, freuen sich auf den Start des attraktiven neuen Augmented-Reality-Angebots.

Die Museumsführerinnen und Museumsführer der Welterbestätte werden die Gäste im Johanneschor des karolingischen Westwerks durch die Zeitreise mit dem Tablet geleiten. Standortleiterin Annika Pröbe (links) und der Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde, Professor Dr. Christoph Stiegemann, freuen sich auf den Start des attraktiven neuen Augmented-Reality-Angebots.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Grundlage dieser Visualisierungen sind wissenschaftliche Erkenntnisse. Auf ihnen basiert die App, die Spezialisten des Fraunhofer-Instituts für graphische Datenverarbeitung IGD Darmstadt für Corvey entwickelt haben. „Die Gäste werden beeindruckt sein – so wie wir es auch immer wieder sind, wenn wir erleben, wie die Augmented-Reality-Anwendungen uns Forschungsergebnisse buchstäblich vor Augen führen“, sagt Annika Pröbe.

Die Mediävistin gehörte seit 2016 dem interdisziplinären Kompetenzteam der Kirchengemeinde zur Erschließung des Westwerks an und hat zum 1. Dezember 2022 die Standortleitung für das Welterbe karolingisches Westwerk und Abteikirche Corvey im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn übernommen.

Jüngere Zielgruppen erreichen

Unter ihrer Federführung gehen nun in Kürze die multimedialen Entdeckungsreisen im Johanneschor nach intensiven konzeptionellen Vorüberlegungen und der Aufbereitung spannender und auch neuer  wissenschaftlicher Erkenntnisse an den Start. Das ist Annika Pröbe ein Herzensanliegen: „Wir möchten auch jüngere Zielgruppen erreichen und für Corvey begeistern.“ Für sie gehöre Digitalität zum Alltag. Der Fortschritt verpflichte eine Welterbestätte, in der Vermittlung ihres universellen Stellenwerts mit der Zeit zu gehen.

Manuel Olbrich vom Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung IGD Darmstadt demonstriert, was die von einem Museumsführer oder einer Museumsführerin begleiteten Gäste bei einer Führung durch den Johanneschor auf dem Bildschirm des Tablets sehen werden. In der Erdgeschosshalle des Westwerks wird jeder Besucherin und jedem Besucher ein Tablet ausgehändigt.

Manuel Olbrich vom Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung IGD Darmstadt demonstriert, was die von einem Museumsführer oder einer Museumsführerin begleiteten Gäste bei einer Führung durch den Johanneschor auf dem Bildschirm des Tablets sehen werden.

Das tun die Fachleute in Corvey ohne jeglichen Eingriff in die sensible karolingische Bausubstanz. Diese bleibt – den modernen Technologien sei Dank – unangetastet. Das Feuerwerk aus Formen und Farben, was der Johanneschor einst war, wird nicht auf die Wände aufgetragen, sondern digital rekonstruiert. Da bekommen zaghaft erhaltene Akanthusranken in den Arkadenbögen ihre Leuchtkraft zurück. Geometrische Formen erblühen auf dem Bildschirm ebenfalls neu.

Konturen nachzeichnen

Vor der berühmten Odysseus-Szene unter der Westempore können die Gäste mit einem Fingerstreich auf dem Touchscreen verblasste Konturen der figürlichen Darstellungen „nachzeichnen“ und sich dann auch noch eigens hinterlegte Bildvorlagen aus der Entstehungszeit anschauen. Und wo das Auge in östlicher Richtung vor der Rückwand der Orgel Halt macht, eröffnet sich auf dem Bildschirm in der Hand ein atemberaubender Blick in den rekonstruierten ersten Kirchbau von 844 – so wie ihn die Könige und Kaiser erlebt haben, die in der Blütezeit des Klosters vom 9. bis ins 12. Jahrhundert hinein nachweislich in Corvey Hof hielten.

Das Team der Kirchenaufsichten händigt den Gruppen demnächst unten in der Erdgeschosshalle des Westwerks die Tablets aus. Im Johanneschor nahmen Annika Pröbe (2. von links) und die Experten des Fraunhofer-Instituts auch sie mit auf die multimediale Entdeckungsreise in die karolingerzeit.

Das Team der Kirchenaufsichten händigt den Gruppen demnächst unten in der Erdgeschosshalle des Westwerks die Tablets aus. Im Johanneschor nahmen Annika Pröbe (2. von links) und die Experten des Fraunhofer-Instituts auch sie mit auf die multimediale Entdeckungsreise in die karolingerzeit.


Die Stuckfiguren, die über dem Quadrum wachten, erleben auf dem Bildschirm des Tablets in ihrer rekonstruierten Farbigkeit eine Renaissance. Auch die Werkprozesse – also die Arbeitsschritte, mit denen die die Erbauer des Johanneschores die Plastiken an die Wand gebracht haben, – werden  nachvollziehbar.

Werkprozess gewährt Einblicke

Ein Werkprozess vollzieht sich vor den Augen der Gäste ebenfalls: Wenn sie das Tablet auf die Sinopien (Vorzeichnungen) an den Wänden halten, entstehen aus eingescannten Originalfragmenten die sechs lebensgroßen Stuckfiguren neu. Sie wachten einst über dem Quadrum und bekommen bei ihrer virtuellen Rückkehr auch die Farbe, die sie damals hatten. Farbreste an den Original-Fragmenten ließen die entsprechenden Rückschlüsse zu. Und wer die Fragmente oder auch die originalen Holzkeile zur Befestigung der Figuren an den Wänden von allen Seiten betrachten möchte, kann das beim Besuch im Johanneschor ebenfalls tun. Die 3D-Scans dieser wertvollen Zeitzeugnisse sind auf dem Tablet hinterlegt.

Die Stuckfiguren, die über dem Quadrum wachten, erleben auf dem Tablet des Bildschirms in ihrer rekonstruierten Farbigkeit eine Renaissance.

Die Stuckfiguren, die über dem Quadrum wachten, erleben auf dem Tablet des Bildschirms in ihrer rekonstruierten Farbigkeit eine Renaissance.

Nach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung des Jubiläumsjahres am 25. September 2022 erlebten zu Beginn des Probelaufs die Museumsführerinnen und -führer eine Preview dieser App. Sie sind es, die die Gäste ab Juni mitnehmen auf die Entdeckungsreisen via Tablet. Denn die Erkundungen sind nur im Rahmen von Führungen möglich.

In der Erdgeschosshalle des Westwerks liegen die Tablets für geführte Besuchergruppen bereit. Die Aufsichten händigen die Geräte aus und nehmen sie nach der Rückkehr der Gruppen aus dem Johanneschor auch wieder in Empfang.

Führungen sind jederzeit buchbar unter Telefon 05271/68168. Öffentliche Führungen werden samstags, sonntags, an Feiertagen und an Brückentagen jeweils um 11 und 15 Uhr sowie donnerstags um 15 Uhr angeboten.