Die Kapitelle der eindrucksvollen Erdgeschosshalle des Westwerks spiegeln das Formenrepertoire der Antike wider. Auch in den ornamentalen Friesen, deren Fragmente an vielen Stellen erkennbar sind, ist der Rückgriff auf klassische antike Elemente wie Akanthus oder geometrische Formen spürbar. Am eindrucksvollsten erkennt man diese Spuren jedoch in der einzigartigen Inschrifttafel an der Fassade des Westwerks, deren kostbares Original im 20. Jahrhundert durch eine Kopie ersetzt wurde.

Beschirme diese Stadt, Herr, und lass Deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein

Die Buchstaben sind in der Schriftart „capitalis quadrata“ ausgeführt und waren ursprünglich goldfarben ausgefüllt. Damit steht die Tafel in der Tradition antiker Monumentalinschriften. Mit ihrem einstmals leuchtenden Schriftzug, der in der Übersetzung „Beschirme diese Stadt, Herr, und lass Deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein“ lautet, wies sie das Kloster und die Kirche als irdisches Abbild des Himmlischen Jerusalems aus. Die Tafel wurde beim Bau des Westwerks zwischen 873 und 885 in die Fassade eingefügt. Die Experten gehen aber davon aus, dass sie schon in der ersten Phase des Klosterbaus bis 844 entstand und dort an einer heute nicht mehr bekannten Stelle angebracht war.

Das kulturelle Erbe der Antike wurde zum Leben erweckt

Karl dem Großen, der sich in der Nachfolge der römischen Kaiser sah, ist diese Wiederbelebung der Antike mehr als 300 Jahre nach dem Sturz des römischen Reiches zu verdanken. In der Fachwelt wird die Epoche auch als „Karolingische Renaissance“ bezeichnet. Sein Missionsauftrag bestimmte politisch-religiöse Prozesse im ganzen europäischen Raum und die Gründung der Bistümer und Klöster führte sowohl zur Festigung als auch zur weiteren Verbreitung des Christentums. Das kulturelle Erbe der Antike wurde in den Klöstern und an den kaiserlichen Höfen wieder zum Leben erweckt und in einer einheitlichen Schrift und der Vervielfältigung kostbarer Handschriften für die gesamte christliche Welt erlebbar. Die christliche Kultur erwuchs somit aus der Begegnung mit der Antike durch den Gestaltungswillen und die schöpferische Kraft der Karolinger und prägt Europa bis heute.