AKTUELL

Handschrift aus Prag baut Brücken nach Corvey

By 21. Oktober 2024November 16th, 2024No Comments

Wir schauen wieder mit großer Freude nach Paderborn: In der laufenden Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ im Erzbischöflichen Diözesanmuseum kündet ein neu eingetroffenes, bedeutendes Evangeliar des Prager Veitsdoms von den jahrhundertelangen Verbindungen von der Weser an die Moldau.

Gruppenbild zur Ankunft des Prager Evangeliars. Von links nach rechts: Kuratorin Michala Vraná, Restauratorin Monika Voss-Raker, Pater Monsignore Vladimír Kelnar, Dompropst Monsignore Joachim Göbel und Museumsdirektor Dr. Holger Kempkens. Foto: Isabella Maria Struck/ Erzbistum Paderborn

Die bis heute nur selten ausgeliehene Handschrift mit den vier Evangelien ist am 17. Oktober auf den Weg nach Paderborn gegeben worden. Gemeinsam mit Pater Monsignore Vladimír Kelnar, der Kuratorin Michala Vraná aus Prag und der Restauratorin Michaela Voss-Raker konnten der Paderborner Dompropst Joachim Göbel und der Direktor des Diözesanmuseums, Dr. Holger Kempkens, die wertvolle Handschrift jetzt in ihre Ausstellungsvitrine einlegen. „Bis zum Ausstellungsende am 26. Januar 2025 komplettiert das Evangeliar nun die Abteilung zur historischen ‚Corveyer Bibilothek‘“, berichtet das Presse-Team der im September eröffneten hochkarätigen Schau.

Prager Dom erhält Patrozinium vom heiligen Vitus

Das Evangeliar war im 10. Jahrhundert Teil der Bibliothek des Klosters Corvey. „Ob es dort auch entstand, ist bis heute unklar“, erläutern die Paderborner Ausstellungsmacher. „Die kostbare Handschrift wurde in jedem Falle zum Vorbild für die in Corvey aufblühende Buchmalerei-Schule.“

Das Evangeliar Cim 2 aus dem Prager Dom ist im Diözesanmuseum angekommen. Pater Monsignore Vladimír Kelnar (Foto) und die Kuratorin Michala Vraná brachten die wertvolle Handschrift nach Paderborn. Foto: Britta Schwemke/Diözesanmuseum

Das Evangeliar kam wahrscheinlich schon im Jahr 973 als Geschenk ins neu gegründete Bistum in Prag, als der aus dem westfälischen Gebiet der Saxones stammende Mönch Detmar dort Bischof wurde. Die Handschrift wurde Teil des Schatzes im Prager Dom und im 14. Jahrhundert von Karl IV. zum Krönungsevangeliar für die böhmischen Könige bestimmt.

Prag und Corvey sind aber nicht nur durch die bedeutende Handschrift  miteinander verbunden: Der berühmte Prager Veitsdom erhielt sein Patrozinium von einem der beiden Schutzpatrone der Weserabtei, dem heiligen Vitus. Die Gebeine des jugendlichen Märtyrers aus frühchristlicher Zeit wurden 836 in einem großen Triumphzug von St. Denis bei Paris in das damals neu gegründete Kloster Corvey transloziert. 1355 kam das Haupt des heiligen Vitus nach Prag und gab als bedeutendstes Reliquiar dem Dom auf der Prager Burg seinen Namen (Veit, lateinisch Vitus). Heute ist die prächtige gotische Kathedrale als Teil des Historischen Zentrums Prags genau wie das Westwerk und die Civitas Corvey UNESCO-Welterbe.

Mittelalter eignet sich Antike an und ermöglicht Kulturtransfer

Die vor 1200 Jahren gegründete ehemalige Benediktinerabtei Corvey ist als bedeutender Think-Tank des Mittelalters Ausgangspunkt der Ausstellung im Diözesanmuseum. Die Äbte des Klosters besaßen weitreichende Verbindungen nach Rom und Byzanz und gehörten zu den Gelehrten des karolingischen Hofs. Sie machten die Abtei am Weserbogen zu einem Zentrum der Übermittlung antiker Schrift, Architektur und Wandmalerei. Die Ausstellung zeigt, wie von Klöstern, Bibliotheken und Skriptorien gerettetes antikes Wissen und Kultur bis in die Gegenwart gelangten und noch immer unsere europäische Gesellschaft prägen. Mit einzigartigen Exponaten – Schatzkunst, Elfenbeinkunst, Architektur- und Wandmalereifragmenten – wird erlebbar, wie das Mittelalter sich die Antike aneignete und diesen großartigen Kulturtransfer ermöglichte.

Zu den wertvollen Handschriften der Schau ist nun die Kostbarkeit aus Prag hinzugekommen. „Schon allein der Einband dieses Evangeliars – der in der Ausstellung getrennt vom Buchblock präsentiert werden kann – ist außergewöhnlich“, erläutert das Team des Diözesanmuseums: „Ursprünglich bestand er aus zwei mit byzantinischer Seide bespannten Eichenbrettern. Die Elfenbeintafel, die den Deckel mittig schmückt, war einst Teil eines antiken Konsulardiptychons aus dem 5. Jahrhundert. Die Darstellung des Konsuls wurde im Mittelalter in eine des Apostels Petrus umgewandelt.“ Unklar ist weiterhin, ob das Elfenbein Teil des ursprünglichen Buchschmucks war oder in „Nach-Corveyer-Zeit“ dazukam. Die vergoldeten, mit Figuren von tschechischen (Schutz-)Heiligen gravierten Kupferplatten auf dem Vorderdeckel entstanden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Prag.

Das wertvolle Evangeliar Cim 2 aus dem Prager Dom wird in die Vitrine gelegt.

Das wertvolle Evangeliar Cim 2 aus dem Prager Dom wird in die Vitrine gelegt. Foto: Britta Schwemke/Diözesanmuseum Paderborn

Prachtvolle Zierseiten zeigen jeweils einen schreibenden Evangelisten

Der Kodex selbst enthält die vier Evangelien. Über den Evangelientext hinaus ist der Kodex mit 15 Kanontafeln und prachtvollen doppelten Zierseiten geschmückt. Letztere zeigen jeweils einen schreibenden Evangelisten am Beginn „seines“ Evangeliums sowie die Berufung des jeweiligen Evangelisten durch Jesus. Die Buchmaler, die diese Zierseiten schufen, wurden in Reims ausgebildet, ein in der Karolingerzeit weit ausstrahlendes kulturelles Zentrum für Buchmalerei.

Eine besondere Kostbarkeit der Ausstellung ist das Prager Evangeliar. Um nicht zu lange dem Licht ausgesetzt zu sein, müssen die Seiten regelmäßig umgeblättert werden. Die Elfenbeintafel des Einbands war einst Teil eines Konsulardiptychons aus dem 5. Jahrhundert. Die Darstellung des Konsuls wurde im Mittelalter in eines des Apostels Petrus umgewandelt. Die Handschrift wurde Teil des Schatzes im Prager Dom und im 14. Jahrhundert von Karl IV. zum Krönungsevangeliar für die böhmischen Könige bestimmt. Foto: Sabine Robrecht

Neben den figürlichen Darstellungen ist die Handschrift auch reich ornamentiert. Die entsprechenden Zierseiten lassen sich einer Gruppe von Handschriften zuordnen, die im Kloster St. Amand (heute an der französisch-belgischen Grenze gelegen), das für seine franko-irische Buchmalerei berühmt war, entstanden. Woher stammt also diese Handschrift? Aus Corvey (die Schreiber), aus Reims (die Figurenmaler) oder aus St. Amand (die Zierseiten)? „Die Zusammenarbeit für eine solche Arbeit hatte bereits in der Karolingerzeit europäische Dimensionen“, verdeutlichen Ausstellungskuratorin Dr. Christiane Ruhmann und ihr Team. Die heute fragilen Zierseiten müssen in der Ausstellung regelmäßig umgeblättert werden, um nicht zu lange dem Licht ausgesetzt zu sein.

Katalog zur Ausstellung erschienen

Ein reich bebilderter Katalog zur Ausstellung bietet die neuesten Erkenntnisse europäischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Antikenrezeption in der Karolingerzeit sowie ein beeindruckendes Panorama faszinierender Exponate zwischen Antike und Mittelalter. Das umfangreiche Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm, eine Reihe von Videointerviews mit an der Ausstellung beteiligten Forscherinnen und Forschern sowie weitere Informationen zu Tickets und Anfahrt finden Sie unter www.erbe-der-antike.de.