Mit großer Freude schauen wir vom Weserbogen aus noch einmal nach Paderborn. Dort richten Restauratoren in diesen Tagen die kostbare Inschriftentafel für die große Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ im Erzbischöflichen Diözesanmuseum her.
Die Inschriftentafel stammt aus der Anfangszeit der 822 gegründeten ehemaligen Benediktinerabtei. Mit ihren ursprünglich goldfarben leuchtenden Buchstaben in der Schriftart „capitalis quadrata“ steht sie in der Tradition antiker Monumentalinschriften und weist die Kirche samt Klosterbezirk, der Civitas, als irdisches Abbild des Himmlischen Jerusalems aus. „Umhege, o Herr, diese Stadt und lass deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein“: Diesen Segenswunsch haben die Mönche des jungen Klosters auf einer Platte aus Solling-Sandstein in Stein meißeln lassen. Am 885 geweihten Westwerk angebracht, war der Text in gold-glänzenden Buchstaben weithin zu lesen. Und auch heute noch werden Ankommende von der Inschrift empfangen, wenn sie sich der imposanten Doppelturmfassade des Westwerks – dem Gesicht der Welterbestätte Corvey – nähern.
Aus konservatorischen Gründen ist draußen am Westwerk allerdings seit vielen Jahren schon eine Kopie der Inschriftentafel angebracht. Das kostbare Original hat innerhalb der ehemaligen Klostermauern seinen Platz und ist jetzt nach Paderborn entliehen worden. Im Diözesanmuseum nimmt sie vom 21. September an die Gäste der Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ im Diözesanmuseum in Empfang.
Die Tafel legt Zeugnis ab von der Antikenrezeption im Mittelalter. Das tut sie höchst eindrücklich. Auch wenn die eingelegten, vergoldete Buchstaben fehlen, geht der Anblick der Inschrift unter die Haut – ihrer Botschaft wegen und auch angesichts der Ausführung im Stil antiker Monumentalschriften.
In diesen Tagen nun bereitet ein Restauratorenteam die fast 1200 Jahre alte, empfindliche Inschriftentafel aus Corvey für die große Sonderschau vor und macht sie transport- und ausstellungsfähig. „Schon vor gut 20 Jahren hat die Sandsteinplatte einen Edelstahlrahmen zur Stabilisierung bekommen. Den haben wir jetzt sorgfältig auf Schwachstellen untersucht“, erklärt der auf Steinrestaurierung spezialisierte Diplom-Restaurator Matthias Rüenauver von der Fachwerkstatt für Restaurierung und Konservierung ars colendi. Diplom-Restauratorin Karen Keller, die für das heutige UNESCO-Welterbe Corvey die restauratorische Fachbauleitung innehat, ist aus Köln zur konservatorischen Überprüfung der Tafel angereist. Gemeinsam haben Rüenauver und Keller Vorder- und Rückseite genauestens unter die Lupe genommen. Jetzt werden letzte Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, dann ist das Highlight aus Corvey reisefertig.
Beim Ortstermin in der Werkstatt des Diözesanmuseums am 23. August ließen sich auch der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Caritas (BKC) Dr. Richard Böger und das designierte Vorstandsmitglied Dr. Manuel Sonntag von den Fachleuten die Details erklären. Die BKC fördert die Paderborner Sonderausstellung und hat die Patenschaft für das außergewöhnliche Objekt übernommen. „Wir engagieren uns gern für dieses großartige Ausstellungsprojekt, weil wir uns auf diese Weise auch für den Erhalt bedeutender Kunstschätze aus unserer Region einsetzen können“, erklärte Dr. Richard Böger.
Zeichen kaiserlicher Macht am Weserbogen
Im Kreis dieser charismatischen Exponate ist die Inschriftentafel aus Corvey ein Glanzlicht. Sie kündet von einem Kulturtransfer in die Einöde des von Karl dem Großen christianisierten Sachsenlandes. In den Tiefen dieser Gegend gründeten Mönche aus Corbie 822 auf Geheiß des Sohnes und Nachfolger Karls, Ludwig dem Frommen, ein Kloster. Dieses stieg schnell zu einem der bedeutendsten kulturellen Zentren des karolingischen Reiches auf. Klosterbibliothek und Skriptorium waren Hort von Schriftkultur und Wissen und damit auch ein wichtiger Ort der Antikenüberlieferung – also eines Kulturtransfers.
Forschende vermuten die Auftraggeber der Inschriftenplatte im Umfeld des karolingischen Kaiserhofes. „Hier waren die antiken Originale bekannt, hier hatte man die finanziellen Möglichkeiten und die Kontakte, um erstklassige Handwerker an die Weserabtei zu holen. Diese arbeiteten dort jedoch nicht mit Marmor, sondern verwendeten Sandstein aus dem nahen Solling“, erläutern die Ausstellungsmacher des Diözesanmuseums. „Die eingebrachte Inschrift in der antiken Schriftart ‚capitalis quadrata‘ war – ganz nach römischem Vorbild – mit vergoldeten Bronzebuchstaben ausgelegt.“ Und hatte neben der spirituellen auch eine weltliche, politische Botschaft: „Schon von weither war sie zu sehen und vermittelte jedem, ob des Lesens kundig oder nicht, den Eindruck römischer Autorität. Es war eine anschauliche Machtdemonstration der Karolinger, die so ihren Anspruch auf antikes Erbe und die Nachfolge der römischen Kaiser zur Schau stellten.“
Antikes Wissen prägt Gesellschaft
Die Ausstellung „Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“ (21. September 2024 bis 26. Januar 2025) zeigt, wie antikes Wissen und Kultur über das Mittelalter bis in die Gegenwart gelangten und noch heute unsere europäische Gesellschaft prägen. Dazu führen die Ausstellungsmacher 120 wertvolle Leihgaben aus Museen und Bibliotheken in ganz Europa und den USA zusammen. Zu den Exponaten gehören so faszinierende Kostbarkeiten wie das Bursenreliquiar aus dem Dionysius-Schatz des ehemaligen Stifts Enger, eines der bedeutendsten Werke frühmittelalterlicher Goldschmiedekunst.
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.