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Broschüre: „Im Licht der Auferstehung“

By 5. Oktober 2024No Comments

Für das neue Hochaltarbild der ehemaligen Abteikirche Corvey hat die katholische Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus eine lesenswerte erläuternde Broschüre herausgegeben. Das reich bebilderte Heft ist in der Kirche kostenfrei erhältlich. Titel: „Im Licht der Auferstehung“.

Im Licht der Auferstehung: Dem Titel der Broschüre entsprechend, strahlt das neue Hochaltarbild die Hoffnungsbotschaft des Sieges über den Tod aus. Das Heft ist kostenlos in der ehemaligen Abteikirche erhältlich. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Dieses besondere Licht erstrahlt derzeit hell in der ehemaligen Abteikirche. Dort lädt das neue Hochaltarbild von Thomas Jessen noch bis zum 31. Oktober an seinem exponierten Platz zwischen den imposanten vergoldeten Spiralsäulen und den Monumentalfiguren der Schutzpatrone St. Stephanus und Vitus zum „Nachdenken über Ostern“ ein. Als Einladung dazu versteht der 65-jährige Künstler aus Eslohe im Sauerland sein zeitgenössisches Motiv. Nach den Premierenwochen bis Ende des Monats reiht es sich bis zum Hochfest der Auferstehung des Herrn 2025 im Magazin auf der Empore oberhalb der Sakristei in den Kreis der wechselnden Hochaltar-Motive ein.

Eine Fülle anregender Erkenntnisgewinne

Da trifft es sich gut, dass die Kirchengemeinde Corvey jetzt die Broschüre herausgegeben hat. Denn mit ihr können sich die Menschen in der Zeit bis Ostern mit dem neuen Altargemälde, seiner Komposition und seiner Aussagekraft beschäftigen. Inspiration, Aufschlüsse und eine Fülle anregender Erkenntnisgewinne enthält der lehrreiche Text. Er stammt aus der Feder des Impulsgebers dieses Leuchtturm-Projekts, Professor Dr. Christoph Stiegemann. Der renommierte Kunsthistoriker, Ausstellungsmacher und ehemalige Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn ist Kurator im Welterbe Corvey und hatte im Jubiläumsjahr zum 1200-jährigen Bestehen des Weserklosters 2022/23 die Idee, das seit 1945 fehlende Ostermotiv im Reigen der großformatigen Hochaltargemälde mit neutestamentlichen Schlüsselszenen des christlichen Glaubens neu zu schaffen.

Stimmig fügt sich das neue Hochaltargemälde in sein barockes Umfeld ein.

Stimmig fügt sich das neue Hochaltargemälde in sein barockes Umfeld ein.

Die Kirchengemeinde und auch der Generalsekretär des Bonifatiuswerks, Monsignore Georg Austen, „griffen diese Idee bereitwillig auf“, berichtet Professor Stiegemann in der Broschüre. Monsignore Austen „machte sich das Projekt in besonderer Weise zu eigen“. So wurde das Bonifatiuswerk zum Motor dieser großartigen Initiative. „Dank zweckgebundener Spenden und dank der Unterstützung des Erzbistums Paderborn, der Kirchengemeinde und weiterer Förderer konnten wir als Bonifatiuswerk die Anschaffung des Werkes an diesem historisch so wichtigen Ort ermöglichen und es der Gemeinde als Geschenk überreichen“, berichtete der Geistliche bei der Premiere des Hochaltargemäldes am 25. September – dem Gründungstag des Klosters Corvey und zugleich Gedenktag des heiligen Adalhard, der der erste Abt der neuen Benediktinerabtei war.

Imposantes Zeugen sakraler Bau- und Ausstattungskunst des Barock

Zwischen den imposanten Spiralsäulen und den Monumentalstatuen der Schutzpatrone St. Stephanus (links) und Vitus ist das neue Altarbild bis 31. Oktober zu sehen. Danach kehrt es zu Ostern 2025 wieder an diesen exponierten Platz zurück.

Zwischen den imposanten Spiralsäulen und den Monumentalstatuen der Schutzpatrone St. Stephanus (links) und Vitus ist das neue Altarbild bis 31. Oktober zu sehen. Danach kehrt es zu Ostern 2025 wieder an diesen exponierten Platz zurück.

Die Broschüre zum neuen Ostermotiv hält die Genese dieser historischen Gemeinschaftsinitiative fest. Professor Stiegemann beleuchtet im Text aber zunächst die Bedeutung der 1667 bis 1674 errichtete Kirche St. Stephanus und Vitus. Nicht nur das karolingische Westwerk als Gesicht der Welterbestätte, sondern auch die ehemalige Abteikirche „zieht die Besucherinnen und Besucher in ihren Bann, zählt sie doch zu den imposantesten Zeugen sakraler Bau- und Ausstattungskunst des Barock in unserer Region“. Die eher schlichte, in den Formen noch gotisch anmutende Architektur der Saalkirche mit langgestrecktem Mönchschor habe vor allem dazu gedient, so Professor Stiegemann, die reiche, in den Jahren 1674 bis 1677 geschaffene Barockausstattung in ihrer Wirkung zu steigern.

Wie sehr die Szenographie der Theaterbühne die Barockausstattung bestimme, zeige der berühmte Hochaltar von 1674, der als Wandelaltar konzipiert sei und mehrere Altarbilder besitze. „Auf der Rückseite des Altaraufbaus ist in Höhe des Bildspiegels eine Art Bühne konstruiert, die zusammen mit dem jeweils im Hochaltar selbst eingefügten Gemälde fünf auswechselbare Bilder in den ungewöhnlichen Abmessungen von 3,10 mal 4,50 m aufweist“, erläutert Christoph Stiegemann.

Leider existieren keine guten Fotografien

Ursprünglich gab es sechs Altarblätter. „Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fehlt allerdings jenes Altarbild, das mit der ‚Auferstehung Jesu‘ die neutestamentliche Schlüsselszene unseres Glaubens zeigte.“ Bei der Sprengung der nahen Eisenbahnbrücke über die Weser am 7. April 1945 durch deutsche Truppen ist das Altarbild durch den Luftdruck der Explosion zerfetzt worden.  Professor Stiegemann: „Leider existieren auch keine guten Fotografien des Auferstehungsgemäldes. Auf einer Innenraumaufnahme von 1901, die die Altartrias zeigt, ist es nur sehr vage und schemenhaft zu erkennen. Seit seiner Zerstörung wurde zwischen den gewaltigen Säulen über Ostern hinaus das Karfreitagsgemälde mit der Darstellung der Kreuzigung Jesu gezeigt.“

Professor Stiegemann (links) bei der feierlichen Enthüllung des Altarbildes im Gespräch mit dem Künstler Thomas Jessen.

Professor Stiegemann (links) bei der feierlichen Enthüllung des Altarbildes im Gespräch mit dem Künstler Thomas Jessen.

Nach 79 Jahren erstrahlt die Kirche zu Ostern nun wieder – dem Titel der Broschüre entsprechend – im Licht der Auferstehung. „Von Anfang an war allen Beteiligten klar, dass es nicht um die Kopie eines barocken Vorbildes gehen kann, vielmehr sollte ein Werk der zeitgenössischen Kunst entstehen, das sich nicht historisierend zurücknimmt, sondern das Thema in die Gegenwart transponiert und so nachhaltig Diskursräume zu eröffnen vermag; braucht Kirche doch, wie Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz schrieb, ‚den echten Willen zum Heute‘“, gewährt Professor Stiegemann Einblicke in die Vorüberlegungen. Der Künstler Thomas Jessen, der bereits mit seinem großen Marienretabel in der St. Clemenskirche zu Drolshagen die alt bekannten Bildtypen und Motive schlüssig in neue zeitgemäße Formen gewandelt habe, gehe auch in Corvey das Bildthema der Auferstehung auf unkonventionelle Weise an.

Bild in zwei Zonen aufgeteilt

Jessen zeige nicht den barocken Bildtypus des aus dem Grab zum Himmel auffahrenden Gottessohnes. Wesentlich für seine Bildschöpfung sei die Dichotomie der Komposition, die Aufteilung des Bildes in zwei Zonen und Realitätsebenen, zusammengehalten durch eine flächige Mauerwand mit quadratischen Wandfliesen.  In der unteren Hälfte erscheine mittig der rundbogig geschlossene Eingang in die schwarze, lichtlose Grabeshöhle. „Darüber in der Höhe öffnet sich im Fenster der Blick in die Ewigkeit.“

„Die Bezüge der Mauerwand zu Wandfliesen des in karolingischer Zeit häufig wieder verwendeten römischen opus sectile, von dem auch in Corvey Teile bei den Ausgrabungen aufgefunden wurden, als auch zum ornamentierten Flächengrund karolingischer Buchmalerei sind vom Künstler beabsichtigt“, erläutert Professor Stiegemann.  „Als Zitat spätantik-frühchristlicher Kunst geben sich auch die lang gewandeten Frauengestalten der Drei Marien rechts neben der Grabesöffnung zu erkennen, die in monochromer, rötlich-weißer Malerei auf die Wandfliesen gemalt sind.“  Sie seien der sogenannten Reiderschen Tafel entnommen, einem spätantiken Elfenbeinreliefrelief (um 450) mit einer der frühesten Osterdarstellungen der Kunstgeschichte.

Ein Falter steigt auf

Blick auf die untere Hälfte des Altargemäldes: Das Lamm vergegenwärtigt die Opferdimension des Kreuzestodes, der Forsythienbusch ragt als Symbol des Frühlings in die Grabeshöhle, im Dunkel der Höhle steigt ein kleiner Falter auf, vor den drei Frauengestalten - einer der frühesten Osterdarstellungen der Kunstgeschichte - baut eine Restauratorin Brücken ins Heute.

Blick auf die untere Hälfte des Altargemäldes: Das Lamm vergegenwärtigt die Opferdimension des Kreuzestodes, der Forsythienbusch ragt als Symbol des Frühlings in die Grabeshöhle, im Dunkel der Höhle steigt ein kleiner Falter auf, vor den drei Frauengestalten – einer der frühesten Osterdarstellungen der Kunstgeschichte – baut eine Restauratorin Brücken ins Heute.

Mit dem historischen Zitat lasse Jessen es hier aber nicht bewenden. „Vor den Ton in Ton auf die Fliesen gemalten Frauengestalten steht auf schmaler grasbewachsener Bühne eine junge Frau in Jeans und Pullover, die wach auf den Betrachter schaut und zwischen Bildwelt und Betrachterwelt vermittelt.“ Für diese Figur stand die Restauratorin Sina Theile Modell, die tatsächlich in Corveys Abteikirche tätig war und im Bild konservatorische Arbeiten am Altar ausführt. Professor Stiegemann: „Wie der Künstler mit seinem Altarbild so eröffnet die Restauratorin durch ihre Tätigkeit den Betrachtenden den Zugang zur ‚Auferstehung‘, dem zentralen Mysterium unseres Glaubens.“

Ihr entspreche auf der linken Seite ein großer Forsythienbusch. Dieser rage als Symbol des im Frühling wiedererwachenden Lebens mit seiner leuchtend gelben Blütenpracht in die Grabesöffnung hinein. „Verwandlung vollzieht sich auch vor der tief schwarzen Grabesöffnung. Hier steigt ein Falter auf, der just die Hülle seiner irdischen Raupenexistenz unter sich gelassen hat. Seine wundersame Metamorphose weist seit alters her auf die Auferstehung, da hier der Tod nicht Ende, sondern Anfang neuen Lebens ist.“ Das Lamm am linken Bildrand vergegenwärtige die Opferdimension des Kreuzestodes Jesu.

Das göttliche Licht wirkt in die Welt

Blick auf die obere Bildhälfte. Im Fenster erscheint der Auferstandene als Lebender über dem Grab, als Sieger über dem Tod. Im Hintergrund ist Jesus zutiefst menschlich dargestellt. Er trinkt aus einer Flasche. „Dieses Motiv hat seine absolute Berechtigung", betont Professor Stiegemann, denn das Jesu-Wort am Kreuz, „Mich dürstet“ (Joh 19,28), bringe wie kein anderes sein Menschsein zum Ausdruck. Der eigentliche Akteur, der fast zwei Drittel des Bildformats einnehme, sei allerdings das in feuriger Glut von Gelborange bis Tiefrot auflodernde Osterfeuer, das dynamisch vor nachtblauem Himmel das Bildformat diagonal durchzieht.

Blick auf die obere Bildhälfte. Im Fenster erscheint der Auferstandene als Lebender über dem Grab, als Sieger über dem Tod. Im Hintergrund ist Jesus zutiefst menschlich dargestellt. Er trinkt aus einer Flasche. „Dieses Motiv hat seine absolute Berechtigung”, betont Professor Stiegemann, denn das Jesu-Wort am Kreuz, „Mich dürstet“ (Joh 19,28), bringe wie kein anderes sein Menschsein zum Ausdruck. Der eigentliche Akteur, der fast zwei Drittel des Bildformats einnehme, sei allerdings das in feuriger Glut von Gelborange bis Tiefrot auflodernde Osterfeuer, das dynamisch vor nachtblauem Himmel das Bildformat diagonal durchzieht.

Die obere Bildhälfte der zweigeteilten Komposition beherrsche in Entsprechung zur schwarzen Grabesöffnung unten „ein in der Mitte hoch aufragendes bewegt konturiertes Fenster, das sich mit dem eingezogenen Korbbogen oben, den unten ausschwingenden seitlichen Laibungen und der trapezförmig ausladenden gekurvten Sohlbank durch barocke Fensterformen des 18. Jahrhunderts, etwa jener der Salzburger Kollegienkirche des Johann Bernhard Fischer von Erlach von 1696–1707, inspiriert zeigt“, informiert Professor Stiegemann. „Das transparente und zugleich luzide Fenster in der oberen Hälfte oberhalb der dunklen Grabeshöhle wird als Bild im Bild zur Scheidewand zwischen irdischer Existenz und Transzendenz. Allerdings ist jene nicht von dieser getrennt. Das zeigt das von links Oben einfallende himmlische Licht, das ein zartes Linienmuster auf die rechte Innenlaibung des Fensters zeichnet. Das göttliche Licht wirkt somit in die Welt hinein, hat Anteil an der Welt und ist mit uns verbunden.“ Welch ein wohltuender Gedanke!

Im Fenster erscheine im Licht verklärt der Auferstandene als männliche Gestalt, doch – wie gedoppelt – gleich zweimal hintereinander. „Es sind zwei Ansichten ein- und derselben Person.“ Der Kopf mit schulterlangem Haar und Bart entspreche durchaus dem konventionellen Christustyp, doch sei er hier porträthaft individualisiert. „Dem Künstler stand der Freund seines Sohnes Modell.“

Motiv hat seine absolute Berechtigung

Die Vergegenwärtigung des Auferstandenen sei „losgelöst von der gängigen Konvention in den Erlebnis- und Erfahrungsraum des Künstlers überführt“, der stets betone, dass er nur das wahrhaftig zur Darstellung bringen und ins Bild heben könne, was ihm vor Augen stehe, um es in Farben und Formen künstlerisch umzusetzen.

Die hintere der beiden Jesus-Gestalten führt eine Wasserflasche zum Mund und trinkt. Dieses Motiv habe seine absolute Berechtigung, betont Professor Stiegemann, denn das Jesu-Wort am Kreuz, „Mich dürstet“ (Joh 19,28), bringe wie kein anderes sein Menschsein zum Ausdruck. „Zugleich erscheint der Auferstandene als Lebender über dem Grab, als Sieger über den Tod. Was unser begrenzter Verstand nicht zu fassen vermag, hier ist es auf überzeugende Art und Weise ins Bild gehoben.“

Osterfeuer lodert auf

Der eigentliche Akteur, der fast zwei Drittel des Bildformats einnehme, sei allerdings das in feuriger Glut von Gelborange bis Tiefrot auflodernde Osterfeuer, das dynamisch vor nachtblauem Himmel das Bildformat diagonal durchzieht. „Hier kann es als Licht der Auferstehung gedeutet werden.“

Mit dem großen Altarbild von Thomas Jessen erlebe die Osterbotschaft in Corvey nach 79 Jahren auf fulminante Weise ihre Auferstehung, fasst Professor Stiegemann seine Erläuterungen zusammen. Die Broschüre ist reich bebildert, zeigt die Details, die der Verfasser des Textes so impulsgebend erläutert, und gewährt auch Einblicke in Thomas Jessens Atelier.

Das Heft ist unbedingt zu empfehlen. Die Lektüre macht die Lesenden mit dem Altarbild vertraut und regt zu dem an, was Thomas Jessen und alle Projektbeteiligten erreichen wollen: zum Nachdenken über Ostern.

Das neue Hochaltarbild im Licht eines sonnigen Vormittages, an dem das Sonnenlicht durch die Südseitenfenster in die Kirche scheint.

Das neue Hochaltarbild im Licht eines sonnigen Vormittages, an dem das Sonnenlicht durch die Südseitenfenster in die Kirche scheint.