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„Vorschlag, um über Ostern nachzudenken“

By 26. September 2024September 28th, 2024No Comments

Die Auferstehung Christi – der Sieg des Lebens über den Tod – ist die zentrale Hoffnungsbotschaft des Evangeliums. Dieses österliche Mysterium „kann man nicht malen“, sagt der Esloher Künstler Thomas Jessen (65). Was sich aber erzählen lasse, sei die Ostergeschichte, angefangen mit den drei Frauen, die am dritten Tag nach Jesu Kreuzigung das leere Grab vorfinden. Diese Geschichte hat Thomas Jessen ins Bild gesetzt.  Großformatig. Modern. Symbolträchtig. Für den Hochaltar der ehemaligen Abteikirche Corvey.

„Die Herausforderung hier in Corvey ist für mich gewesen, etwas zu schaffen, das dem Ganzen vor Ort mit dem barocken Altar nicht widerspricht. So, als ob es schon immer da war – und trotzdem neu und von heute." Diese Intention des Künstlers Thomas Jessen sahen die Gäste nach Enthüllung des Bildes am Gründungstag Corveys erfüllt. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/sabine Robrecht

„Die Herausforderung hier in Corvey ist für mich gewesen, etwas zu schaffen, das dem Ganzen vor Ort mit dem barocken Altar nicht widerspricht. So, als ob es schon immer da war – und trotzdem neu und von heute.” Diese Intention des Künstlers Thomas Jessen sahen die Gäste nach Enthüllung des Bildes am Gründungstag Corveys erfüllt. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Zeitgenössische Kunst in barockem Rahmen: So aufrüttelnd dieses 3,10 Meter breite und 4,50 Meter hohe Altarbild zwischen vergoldeten Spiralsäulen und den Monumentalfiguren der Schutzpatrone Stephanus und Vitus wirkt, so bescheiden formuliert der Künstler seine Intention: Sein Werk sei nur ein „Vorschlag, um über Ostern nachzudenken“.

Damit liefert Thomas Jessen eine Steilvorlage für das aktuelle Grundanliegen der katholischen Kirche: Sie möchte in der herausfordernden Zeit zunehmender Entchristlichung den Glauben und die zentrale österliche Auferstehungsbotschaft in die Gegenwart transponieren, ins Gespräch bringen und den Menschen neue Zugänge eröffnen.

Bild soll zum Diskurs anregen

Ostern neu entdecken und in einen Diskurs eintreten: Die Impulskraft des Corveyer Hochaltarbildes für dieses Nachdenken über den Glauben ist immens. „Es fordert zur Reflexion auf und trägt dazu bei, dass Corvey als Fixstern des christlichen Abendlandes und des Erzbistums Paderborn noch heller leuchtet“, brachte es der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstandes der katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus, Josef Kowalski, bei der fulminanten Premiere des Gemäldes am Gründungstag des Klosters Corvey, dem 25. September, auf den Punkt. Auch Professor Dr. Christoph Stiegemann, Kurator in der Welterbestätte Corvey und Mit-Ideengeber des neuen Altarbildes, fand bewegende Worte: Das Gemälde übersetze das Mysterium der Auferstehung ins Heute und stärke Corvey nachhaltig als spirituellen Kraftort. „Mit dem großen Altarbild von Thomas Jessen erlebt die Osterbotschaft in Corvey nach 79 Jahren auf fulminante Weise ihre Auferstehung.“

Wichtigste Schlüsselszene wieder da

79 Jahre: So lange hatte im Bilderzyklus des Wechselaltars der ehemaligen Abteikirche das Ostermotiv – also die wichtigste der kunstvoll dargestellten Schlüsselszenen des Neuen Testaments – gefehlt. Das Gemälde wurde am 7. April 1945, wenige Tage nach dem Hochfest der Auferstehung des Herrn, von einer gewaltigen Druckwelle zerrissen. Diese war bei der Sprengung der Eisenbahnbrücke in Corvey durch deutsche Soldaten entstanden. Die Fetzen sind seither verschollen. Abbildungen des Motivs gibt es nicht. Die Kirchengemeinde ließ seit dem Verlust das Karfreitagsgemälde mit der Kreuzigungsszene über Ostern hinaus im Rahmen und tauschte dieses dann zum nächsten Hochfest, Pfingsten, aus.

Dass die Auferstehung den sechs Altarblätter umfassenden Gemäldezyklus jetzt wieder komplettiert, ist dem Bonifatiuswerk mit Sitz in Paderborn zu verdanken. Professor Stiegemann war mit der Idee, ein neues Ostergemälde zu schaffen, beim Generalsekretär des katholischen Hilfswerks, Monsignore Georg Austen, auf offene Ohren gestoßen. Der Geistliche machte sich für die Neuanschaffung stark. Die kleine Kirchengemeinde, die mit dem zum Welterbe geadelten karolingischen Westwerk und der barocken Abteikirche einen international bedeutsamen Erinnerungs- und Glaubensort verantwortet, war ebenfalls von dem Projekt überzeugt und beauftragte Thomas Jessen.

Bonifatiuswerk machte Projekt möglich

„Dank zweckgebundener Spenden und dank der Unterstützung des Erzbistums Paderborn, der Kirchengemeinde und weiterer Förderer konnten wir als Bonifatiuswerk die Anschaffung des Werkes an diesem historisch so wichtigen Ort ermöglichen und es der Gemeinde als Geschenk überreichen“, erklärte Monsignore Austen bei der Premiere des Altargemäldes am 25. September. Eingebettet war die Enthüllung und die zuvor gefeierte Eucharistie in ein besonderes Jubiläum: Das Bonifatiuswerk blickt auf „50 Jahre Nordeuropahilfe“ zurück. Diesen Jahrestag feierte das Hilfswerk ganz bewusst in Corvey, weil von dort aus der heilige Ansgar im 9. Jahrhundert mutig in Richtung nach Norden zog, um das Evangelium zu den Menschen zu bringen. „Für uns ist der 50. Geburtstag der Hilfe in Nordeuropa, wo wir als Weltkirche gemeinsam verbunden sind, einerseits Anlass, sich der Herkunft zu vergewissern“, betonte Monsignore Austen. Andererseits „brauchen wir einen mutigen und zuversichtlichen Aufbruch ins Jetzt“.

Dazu trage das neue Altarbild bei. Das alte sei im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. „Mit dem neuen wollen wir ein Zeichen der Versöhnung und Mahnung gegen Menschenverachtung, Krieg und die Fratze des Nationalsozialismus setzen. Der Dreh- und Angelpunkt des christlichen Glaubens ist das Leben, das Leben aus dem Tod. Es geht auch heute darum, aufzustehen und die Stimme zu erheben für das Leben, überall dort, wo es bedroht ist, sowie die Hoffnung wachzuhalten, dass der Tod nicht das letzte Wort hat“, betonte Monsignore Austen in seiner mitreißenden Predigt des Gottesdienstes.

Der Kopenhagener Bischof und Vorsitzende der Nordischen Bischofskonferenz, Ceslaw Kozon, zelebrierte die Eucharistiefeier in der ehemaligen Abteikirche. Zu den Konzelebranten gehörte auch Bischof Viktors Stulpins (rechts), Vorsitzender der Lettischen Bischofskonferenz.

Bischof zelebriert Eucharistiefeier

An der Eucharistiefeier in der ehemaligen Abteikirche nahmen neben dem Kopenhagener Bischof Ceslaw Kozon auch Bischof Viktors Stulpins, Vorsitzender der Lettischen Bischofskonferenz, sowie der Paderborner Generalvikar Thomas Dornseifer teil. Zu den Besucherinnen und Besuchern gehörten auch internationale Gäste aus Kirche, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, darunter die Botschafterinnen und Botschafter aus Schweden, Estland, Lettland und Litauen.

Vor ihnen allen würdigte Generalvikar Prälat Thomas Dornseifer nach dem festlichen Gottesdienst das Engagement des Bonifatiuswerks in der Diaspora in Nordeuropa. Corvey, von wo aus Ansgar zu seinen Missionsreisen in den Norden aufgebrochen war, sei ein passender Ort zur Feier des 50-Jährigen. Dass die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus nach 79 Jahren ein neues Altarbild mit der Osterbotschaft bekommt, erfülle ihn mit Dankbarkeit, so der Generalvikar. Der Wunsch, dass die Auferstehung im Bilderrhythmus des Wechselaltars wieder sichtbar ist, sei durch die Initiative des Bonifatiuswerks wahr geworden. Das Erzbistum habe dieses Projekt gerne finanziell unterstützt, „geht es doch um unser aller Glaube an die Auferstehung“. Prälat Dornseifer hofft, dass das Gemälde als Zeichen der Versöhnung, der Erneuerung und des Aufbruchs wahrgenommen wird und neue Zugänge zum christlichen Glauben schafft.

Die Enthüllung des neuen Hochaltarbildes mit Gottesdienst fiel auf den Gründungstag Corveys, der zugleich Gedenktag des heiligen Adalhard, des ersten Abts der Benediktinerabtei am Weserbogen, ist. Die Liturgie war vom Gedenken an Adalhard geprägt.

Die Enthüllung des neuen Hochaltarbildes mit Gottesdienst fiel auf den Gründungstag Corveys, der zugleich Gedenktag des heiligen Adalhard, des ersten Abts der Benediktinerabtei am Weserbogen, ist. Die Liturgie war vom Gedenken an Adalhard geprägt.

Diese Hoffnung setzt auch Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek in das charismatische Werk Thomas Jessens: „Das Gemälde steht für eine moderne Kunstform in einem barocken Rahmen. Dadurch können wir die für das Christentum zentrale österliche Auferstehungsbotschaft ins Bild und Gespräch bringen.“ Dazu besteht zunächst bis 31. Oktober Gelegenheit. So lange ist das Osterbild im Hochaltar zu sehen.

Format war eine Herausforderung

Fünf Monate hat Thomas Jessen daran gearbeitet. „Allein die Größe war eine Herausforderung“, sagte er bei der Enthüllung. „Das Format überstieg meine Kräfte. Und auch mein Atelier. Das Bild passte durch keine Tür.“ Für jeden Raumwechsel musste der Künstler es daher vom Rahmen abspannen. Er habe sich zur Aufgabe gemacht, so Jessen, für Corvey etwas zu schaffen, das dem Ganzen vor Ort mit dem barocken Altar nicht widerspricht. „So, als ob es schon immer da war – und trotzdem neu und von heute.“

Der Künstler zeigt daher nicht den barocken Bildtypus des zum Himmel auffahrenden Gottessohnes, sondern im unteren Teil der Leinwand das leere Grab als dunkle Öffnung in einer Mauerwand. Der blühende Forsythienbusch links verweist auf das wiedererwachte Leben und weckt bei vielen Betrachtenden auch Assoziationen zum brennenden Dornbusch, aus dem Gott zu Mose spricht und ihn mit der Befreiung des Volkes Israel aus Ägypten beauftragt. Das kleine Lamm links neben dem Forsythienbusch „vergegenwärtigt zusammen mit der neben ihm aufragenden Distel das Leiden Jesu und die Opferdimension des Kreuzestodes“, erläutert Professor Stiegemann.

Restauratorin baut Brücke ins Heute

Auch aus der Ferne beeindruckt das neue Hochaltarbild.


Sina Theile bei einem ihrer Einsätze in der ehemaligen Abteikirche im Dezember 2020. Sie steht auf einem Gerüst am Hochaltar.

Die rechts neben der Grabesöffnung im Relief erscheinenden drei Frauen sind der sogenannten Reiderschen Tafel entnommen, einem spätantiken Elfenbeinrelief mit einer der frühesten Osterdarstellungen der Kunstgeschichte. Vor ihnen steht die Gegenwart: eine Restauratorin mit Aquarellkasten, die konservatorische Arbeiten am Altar ausführt. Sie schaut die Betrachtenden an, als wolle sie sie mitnehmen ins zentrale Mysterium des christlichen Glaubens. Modell gestanden hat die Restauratorin Sina Theile aus Obermarsberg, die tatsächlich in der barocken Abteikirche in Corvey tätig war.

Den oberen Bereich der zweigeteilten Komposition nimmt ein Fenster in geschweifter Form ein, „in dem zwei männliche Gestalten erscheinen, wobei die vordere frontal mit aufgestützten Armen, die hintere leicht nach außen gewendet und mit an den Mund gehobener Wasserflasche gezeigt wird“, erläutert das Team des Bonifatiuswerks in einer Pressemitteilung zum neuen Altarbild. „Erstere verweist auf die Göttlichkeit des Menschensohns, letztere auf die menschliche Natur Jesu“.  Betrachtende assoziieren diese Szene mit einem Jesus-Wort am Kreuz, „Mich dürstet“ (Joh. 19,28).

„Im Hintergrund vervollständigt ein (Oster-)Feuer die Darstellung, das als Licht der Auferstehung gedeutet werden kann“, heißt es weiter in der Pressemitteilung des Bonifatiuswerks. „Das Motiv des Fensters in seiner geschweiften Form nimmt Bezug auf Vorgaben barocker Architektur, ebenso hat die lichtdurchwirkte Darstellung des Auferstandenen ihren Bezugspunkt in dynamisch bewegten Kompositionen barocker Malerei.“

Die Göttlichkeit des Menschensohns und auch die menschliche Natur Jesu werden im Altarbild gegenwärtig. Im Hintergrund lodert das Osterfeuer als Zeichen der Auferstehung.

Die Göttlichkeit des Menschensohns und auch die menschliche Natur Jesu werden im Altarbild gegenwärtig. Im Hintergrund lodert das Osterfeuer als Zeichen der Auferstehung.

Himmlisches Licht

Dieses Fenster in der oberen Hälfte oberhalb der dunklen Grabeshöhle werde als Bild im Bild zur Scheidewand zwischen irdischer Existenz und Transzendenz, erläutert Professor Stiegemann. Das von links oben einfallende himmlische Licht zeichne ein zartes Linienmuster auf die rechte Innenlaibung des Fensters. „Das göttliche Licht wirkt somit in die Welt hinein, hat Anteil an der Welt und ist mit uns verbunden“, verweist der Wissenschaftler auf eine ganz starke und hoffnungsstiftende Symbolik.

Ein Fliesenmuster verbindet beide Bildteile und fügt sich, so Professor Stiegemann, „mit dem etwas kühleren dunkelroten Farbklang des Fliesenmusters ganz eigen aber durchaus auch harmonisch in den Rot-marmorierten, teilvergoldeten Aufbau des Hochaltars ein“.