Mit seinem Gnaden- und Segensrezess hat der tatkräftige Administrator Corveys und Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen (amt. 1661-1678), vor genau 350 Jahren einen langanhaltenden Kirchen- und Religionsstreit zwischen den beiden christlichen Konfessionen in Höxter beendet. Aus diesem Einvernehmen heraus ist das heute so lebendige, gedeihliche ökumenische Miteinander in der Stadt erwachsen. Daher erinnerten der katholische Pastoralverbund Corvey und die Evangelische Weser-Nethe-Kirchengemeinde anlässlich des 350. Jahrestages gemeinsam an diese entscheidende Weichenstellung.

Wilfried Henze gehört zu den Gastgeberinnen und Gastgebern der „verlässlich offenen Kirche“ St. Kiliani. Beim Gedenktag schilderte er die Geschichte dieser ältesten Kirche Höxters und erinnerte an Glanzlichter des ökumenischen Miteinanders in der Stadt.

Der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstandes der katholischen Kirchengemeinde Corvey, Josef Kowalski, erläuterte beim 350. Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses die Hintergründe und Auswirkungen dieses Erlasses.
Als „Beginn der in unserer Stadt wunderbar gelebten Ökumene“ ordnet Josef Kowalski, Brigadegeneral a.D. und seit 2018 geschäftsführender Vorsitzender des Kirchenvorstandes der katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey, den Gnaden- und Segensrezess ein. Am 4. Oktober gestaltete er die Feierstunde zum Jahrestag dieses stadtgeschichtlich bedeutsamen Erlasses mit – in ökumenischem Schulterschluss mit Wilfried Henze. Der ehemalige Buch- und Kunsthändler war bis 2022 Stadtheimatpfleger Höxters. Er engagiert sich in der evangelischen Kirchengemeinde und gehört zu den Gastgeberinnen und Gastgebern der „verlässlich offenen Kirche“ St. Kiliani.
Wilfried Henze war es ebenso wie Josef Kowalski ein Herzensanliegen, öffentlichkeitswirksam an den Beginn des Religionsfriedens vor 350 Jahren zu erinnern. Orte des Innehaltens waren die Kilianikirche und zuvor die Nikolaikirche. Außerdem läuteten die Glocken beider Gotteshäuser – so wie es 1674 der Fall gewesen war: Als die beiden christlichen Konfessionen und die Stadt sich damals zu einer Einigung zusammengefunden hatten, riefen die Glocken der Kirchen St. Nikolai und St. Kiliani die Bürgerinnen und Bürger auf dem Markt zusammen.

Die Kilianikirche ist der älteste Kirchenbau in Höxter und Wahrzeichen der Stadt. Eine frühe Missionskirche an dieser Stelle ist bereits um das Jahr 800 nachgewiesen.

Die Nikolaikirche stand zur Zeit des Erlasses noch nicht an der Marktstraße. Sie wurde dort ab 1766 neu errichtet, am Nikolaustag 1770 in Gebrauch genommen und am 17. November 1771 von Corveys Fürstabt Philipp von Spiegel zum Desenberg (amt. 1758–1776) geweiht.
Wie diese per Erlass verordnete Einigung ausgesehen hatte, brachte Josef Kowalski beim Jahrestag präzise auf den Punkt: „St. Kiliani und St. Petri bleiben protestantisch. St. Nikolai und die Brüder-Kirche St. Marien werden wieder katholisch – Parität also. Die Franziskaner-Mönche kehren in ihr Kloster zurück.“ Bei den erbitterten Auseinandersetzungen war es also auch um die Nutzung der Kirchen in Höxter gegangen.
140 Jahre lang hatten sich die Streitigkeiten hingezogen. Ausgangspunkt war, so Josef Kowalski, die Teilnahme des engen Luther-Vertrauten Landgraf Philipp von Hessen (genannt „Der Großmütige“) an einem Fürstentag im Rathaus von Höxter am 15. Januar 1533: „Er brachte die lutherischen Prediger mit in die Stadt und überzeugte Rat und Bürger von der neuen Lehre.“ Eine Richtungsentscheidung folgte auf dem Fuße: Während der Corveyer Abt als Landesherr und die umliegenden Orte katholisch blieben, traten Höxter und die Ortschaften Amelunxen und Bruchhausen der Reformation bei. „Noch im Jahre 1533 wurden die Kirchen St. Kiliani, St. Petri und St. Nikolai von den Bürgern – auch unter Gewaltanwendung – in Besitz genommen“, berichtet Josef Kowalski. „Im Jahre 1555 kam dann auch die Minoriten-Kirche St. Marien in den Besitz der Protestanten.“

In der Marienkirche wurde der Gnaden- und Segensrezess am 8. April 1674 mit einem feierlichen Hochamt besiegelt.
Fortwährender Streit um die Nutzung der Kirchen
Die folgenden Jahrzehnte seien vom fortwährenden Streit zwischen den katholischen und protestantischen Christen um die Nutzung der Kirchen und des Kirchenguts geprägt gewesen. Dabei sei es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Bildersturm gekommen. Höxter habe in kirchlicher und religiöser Spaltung gelebt. Darüber hinaus habe sich die Gewalt-Spirale um den christlichen Glauben zugespitzt und 1618 in die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges geführt – „mit katastrophalen Auswirkungen auch auf unsere Stadt Höxter“, verdeutlicht Josef Kowalski.
Zunächst aber habe es von Mai 1629 bis Oktober 1631 eine kurze katholische Zwischen-Phase gegeben, wie der Kirchenvorstand erläutert. „Corveys Fürstabt Christoph von Brambach war 1624 auf Schloss Neuhaus durch den Kölner Erzbischof Ferdinand, zugleich Bischof von Paderborn, gefangen gesetzt worden. Am 19. Mai 1629 wurde er aus seinem Exil befreit. Der Fürstabt wurde in seinem Fürstentum und seiner Hauptstadt Höxter begeistert empfangen. Zwölf Bürger und der Bürgermeister empfingen zum ersten Male wieder die ‚Heilige Kommunion‘. An Fronleichnam 1630 hielt der Fürstabt dann ein Pontifikalamt in der Petrikirche und an Fronleichnam 1631 sogar in der Kilianikirche, die bis dahin ununterbrochen im Besitz der protestantischen Bürger gewesen war. Aus dieser Zeit – Anno 1631 – stammt auch der symbolträchtige Taufstein des Meisters Berent Kraft im Renaissance-Stil in St. Kiliani.“
Allerdings sei diese kurze katholische Zwischen-Phase bereits Ende Oktober 1631 beendet gewesen, als der Landgraf Wilhelm von Hessen die Stadt besetzte. „Alle Kirchen in Höxter waren nun wieder in protestantischem Besitz und blieben dies bis in die 1660-er Jahre.“
Einer der dunkelsten Tage in Höxters Stadtgeschichte
Schließlich habe das „Restitutions-Edikt“ des Römisch-Deutschen Kaisers Ferdinand II. vom 6. März 1629 mit seinem Aufruf zur „Rekatholisierung“ zu den entsetzlichen Ereignissen an Ostern 1634 geführt, erinnert Josef Kowalski an einen der dunkelsten Tage in Höxters Stadtgeschichte. „Das der Reformation beigetretene Höxter wurde von 10.000 Soldaten der Katholischen Liga unter dem General Freiherr von Geleen angegriffen. Am 20. April 1634 – Donnerstag nach Ostern – kam es zum ‚Blutbad von Höxter‘, nachdem die Stadt seit dem 15. April eingeschlossen, belagert, mit der Artillerie beschossen und ein Ultimatum zur Übergabe abgelehnt worden war.“ Die Folgen waren verheerend: 1500 Menschen verloren ihr Leben. Verwüstungen und Zerstörungen kündeten ebenfalls vom Ausmaß dieser Katastrophe.
„Die konfessionellen Gegensätze und Streitigkeiten dauerten nach dem Blutbad an“, so Josef Kowalski. „Die Katholiken hatten bis 1662 keinen Platz für ihre Gottesdienste.“ Auch im Kloster Corvey „verursachten Truppen der Protestantischen Union Raub, Verwüstungen und Zerstörungen“. Es sei die „Todeszone“ für die Abtei gewesen. „Der Abt und die Mönche flohen. Das Konvent-Leben kam völlig zum Erliegen.“

Der Neubau der prachtvollen barocken Abteikirche Corvey 1665 bis 1683 geht auf den Administrator und Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen, zurück.

Der Administrator Corveys und Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen, aufgenommen im Äbtegang im Obergeschoss des Schlosses.
Die adeligen Mönche seien nach den Kriegsjahren aber wieder zusammengekommen, erläutert der Corveyer Kirchenvorstand. „Nach dem Tod des alten Fürstabts Arnold von Valdois 1661 wählten sie Christoph Bernhard von Galen – den wirkmächtigen Fürstbischof von Münster – zum geistigen und weltlichen Herrn in der Fürstabtei.“ Er habe weitreichende Entscheidungen getroffen. Dazu gehörten bedeutende Bauvorhaben für das Kloster selbst: „Unter der Leitung des Hofarchitekten des Paderborner Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg, Johann Georg Rudolphi aus Brakel, wurde ab 1665 bis 1683 die prachtvolle barocke Abteikirche gebaut.“
Nach Höxter schauend, erinnert Josef Kowalski daran, dass Christoph Bernhard den Katholiken bereits im Oktober 1662 die Nikolaikirche zurückgab. „Den Franziskanern gestatte er die Rückkehr in ihr Marien-Kloster.“ Angesichts des sich fortsetzenden Streits um die Kirchen in seiner Hauptstadt Höxter habe er schließlich am 17. März 1674 seinen Gnaden- und Segensrezess verfügt.

Der Administrator Corveys, Christoph Bernhard von Galen, gab den Katholiken bereits im Oktober 1662 die Nikolaikirche zurück. Sie stand damals direkt an der Stadtmauer auf der vom Foto-Standpunkt aus gegenüberliegenden Seite der heutigen Nicolaistraße und stammte wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der Kirchturm bildete auch das Stadttor, an das die beiden Steinpfeiler erinnern.
Dieser habe nicht nur die Konfessionszugehörigkeit der Kirchen der Stadt endgültig geregelt, sondern sei auch mit dem Erlass einer neuen Stadt-Verfassung verbunden gewesen, berichtet Josef Kowalski. Hinzu komme die Neuordnung der Verwaltung der Stadt. „Künftig sollten protestantische und katholische Bürger im Rat vertreten sein unter jeweils einem evangelischen und einem katholischen Bürgermeister.“ Der Gnaden- und Segensrezess habe die Zentralgewalt des Fürstabts gegenüber Rat und Stadt gestärkt. Was den religiösen und kirchlichen Frieden in der Stadt und im damaligen Fürstentum Corvey angeht, „sind die Auswirkungen des Gnaden- und Segensrezesses bis auf den heutigen Tag aktuell“, bilanziert Josef Kowalski im Hinblick auf das gedeihliche ökumenische Miteinander.
Dieses entfaltet sich auch immer wieder in den Kirchen, um die bis 1674 über einen so langen Zeitraum von 140 Jahren gestritten wurde. Bis auf die Petrikirche haben alle umkämpften Gotteshäuser die Jahrhunderte überdauert – die Nikolaikirche allerdings nicht am Original-Standort. Sie hatte ihren Platz direkt an der Stadtmauer auf der östlichen Seite der heutigen Nicolaistraße. Der Kirchturm bildete auch das Stadttor, an das noch heute die beiden Steinpfeiler rechts und links der Straße erinnern. Nach der Grundsteinlegung am 1. Mai 1766 wurde die Nikolaikirche an der Marktstraße im Stil des Spätbarock neu errichtet, am Nikolaustag 1770 in Gebrauch genommen und am 17. November 1771 von Fürstabt Philipp von Spiegel zum Desenberg (amt. 1758–1776) geweiht.

Blick in das völlig erhaltene romanische Nordseitenschiff der Kilianikirche im Herzen Höxters. Das Gotteshaus steht 2025 im Licht des 950-jährigen Jubiläums.

Die lichtdurchflutete gotische Halle in St. Kiliani ersetzt das südliche Seitenschiff und diente der Erweiterung der Kirche. Um 1400 ist diese bauliche Veränderung vorgenommen worden.
Einen Vorgängerbau hatte auch Höxters älteste Kirche St. Kiliani: Eine frühe Missionskirche an dieser Stelle ist um das Jahr 800 nachgewiesen. Etwa 275 Jahre später wurde die Kilianikirche geweiht. Sie ist ein Wahrzeichen der Stadt und steht sehr bald im Licht eines besonderen Datums: „Im nächsten Jahr können wir das 950-jährige Jubiläum feiern“, berichtet Wilfried Henze.
„Die Jahreszahl 1075 weist in die Zeit der Romanik“, sagte er beim Besuch des Gotteshauses zum Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses. Um den Eindruck, in einer romanischen Kirche zu sein, zu gewinnen, richteten die Gäste auf Anregung Henzes den Blick nach Norden: „Da sehen Sie die mächtigen Pfeiler mit ihren Kapitellen, den Gurtbögen und dem völlig erhaltenen romanischen Seitenschiff.“
Ganz anders sei der Eindruck auf der gegenüberliegenden Seite. Die lichtdurchflutete Halle und die spitzbogigen Fenster „weisen in die Zeit der Gotik“. Auch sakrale Gebäude hätten sich immer den Bedürfnissen der Zeit anpassen müssen. Daher habe um 1400 ein gewaltiger Eingriff in die historisch gewachsene Substanz der Kirche stattgefunden. „Aufgrund der stark anwachsenden Bevölkerung war eine Erweiterung der Kirche notwendig geworden“, erläutert Wilfried Henze. Dazu habe man das südliche Seitenschiff abgebrochen und durch eine große Halle im Stil der Gotik ersetzt.

Die Brüder Donope gestalteten im Jahre 1597 die Renaissance-Kanzel in St. Kiliani. Bedeutend ist auch die Barockorgel, 1710 erbaut von Hinrich Klausing. Fotos: Sabine Robrecht
Dass sich aus dieser Zeit keine Ausstattungsgegenstände erhalten haben, sei der Tatsache geschuldet, dass Höxter während des Dreißigjährigen Krieges mehrfach zerstört, gebrandschatzt und geplündert wurde. Auch die Zeit der Gegenreformation habe ihre Spuren hinterlassen. Die Renaissance sei dann eine Zeit großen Wohlstands gewesen. „Viele Stiftungen und Zuwendungen legen hiervon Zeugnis ab“, erläutert Wilfried Henze mit Verweis auf die eindrucksvolle, von den Brüdern Donop gestiftete Kanzel aus dem Jahr 1597. Auch das von Kannesche Epitaph von 1593 zeuge vom Wohlstand und von der Gebefreudigkeit der Stifter.
Gäste überrascht von der Ausstrahlung der Kilianikirche
Viele Gäste lassen sich beim Besuch der Kilianikirche „überraschen von der Architektur und der Ausstrahlung des zur Ehre Gottes errichteten Bauwerks“, bilanziert Wilfried Henze. „Möge dieses Gotteshaus auch künftig in immerwährender Tradition ein Bindeglied zwischen den Generationen sein“, hofft er. Und schließt das geschwisterliche Miteinander der Konfessionen ein, für das er beim Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses ein besonderes Glanzlicht in Erinnerung rief: den ersten ökumenischen Kirchentag 2013. Gestaltet von der katholischen, der evangelischen und der evangelisch-freikirchlichen Kirchengemeinde Höxter, „nannten wir dieses Ereignis damals ganz selbstbewusst ‚Zwischen Himmel und Höxter‘“, schaut Wilfried Henze zurück. Die Veranstaltung im Herzen der Stadt habe deutlich gemacht, dass Christen ein Zeichen gelebter Ökumene setzen können.
Das tun sie gemeinsam an Kraftorten wie dem Kloster Brenkhausen, dem Welterbe Corvey, dem Schöpfungsgarten an der Weser und natürlich den Gotteshäusern in Höxters Altstadt, um die es im 17. Jahrhundert so erbitterte Auseinandersetzungen gegeben hat.