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Administrator Corveys beendet Kirchenstreit

By 17. Oktober 2024Oktober 24th, 2024No Comments

Das geschwisterliche Miteinander der Konfessionen hat in Höxter Tradition. Zu den Kraftorten gelebter Ökumene gehört die ehemalige Benediktinerabtei und heutige Welterbestätte Corvey. Dort führt ein bis heute hochverehrter Missionar des ersten Konvents, der heilige Ansgar (801 – 865), Jahr für Jahr aus Anlass seines Todestages (3. Februar) die christlichen Kirchen zu Begegnung und Gebet zusammen. Als „Beginn der in unserer Stadt wunderbar gelebten Ökumene“ ordnet Josef Kowalski eine Entscheidung ein, die eine spätere bedeutende Persönlichkeit Corveys vor genau 350 Jahren per Erlass umgesetzt hat: Christoph Bernhard von Galen.

Landmarke, Leuchtturm und Denkmal von Weltrang: Die Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks weist Corvey aber auch als Ort gelebter Ökumene aus. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Landmarke, Leuchtturm und Denkmal von Weltrang: Die Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks weist Corvey auch als Ort gelebter Ökumene aus. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Der wirkmächtige Fürstbischof von Münster regierte von 1661 bis zu seinem Tod 1678 fast 17 Jahre lang als Administrator für Corvey, also als geistlicher und weltlicher Herr des Fürstentums, und führte das nach dem Dreißigjährigen Krieg darniederliegende Weserkloster zu neuer Blüte. 1674 beendete er mit seinem Gnaden- und Segensrezess den Kirchenstreit in Höxter, der Hauptstadt der Fürstabtei, und schuf mit diesem Erlass die Grundlagen für einen neuen Gemeinsinn in „ökumenischem Geist“, unterstreicht Josef Kowalski.

Profunder Kenner der Geschichte Corveys und der Stadt Höxter: Kirchenvorstand Josef Kowalski erläuterte beim 350. Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses die Hintergründe und Auswirkungen dieses Erlasses.

Profunder Kenner der Geschichte Corveys und der Stadt Höxter: Kirchenvorstand Josef Kowalski erläuterte beim 350. Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses die Hintergründe und Auswirkungen dieses Erlasses.

Der Brigadegeneral a.D. ist seit 2018 geschäftsführender Vorsitzender des Kirchenvorstandes der katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey. Er kennt sich profund in der Geschichte der Stadt und der Welterbestätte am Weserbogen aus und gestaltete im Oktober 2024 einen von katholischen und evangelischen Christen gemeinsam initiierten Gedenktag zur Erinnerung an den vor 350 Jahren erlassenen Rezess in Höxter mit. „St. Kiliani und St. Petri bleiben protestantisch. St. Nikolai und die Brüder-Kirche St. Marien werden wieder katholisch – Parität also. Die Franziskaner-Mönche kehren in ihr Kloster zurück. Religiöser Friede kehrte ein“, bringt der beherzte Corvey-Experte Josef Kowalski die Verfügungen von Galens präzise auf den Punkt. Die beiden christlichen Konfessionen und die Stadt fanden sich zu einer Einigung zusammen. Die Bürger wurden aus diesem besonderen Anlass durch die Glocken der Kirchen St. Nikolai und St. Kiliani auf dem Markt zusammengerufen.

Die Glocken von St. Nikolai (Foto) und St. Kiliani läuteten im Gedenken an den 350. Jahrestag des Gnaden- und Segens-Rezesses. Zur Zeit dieses Erlasses stand das Gotteshaus an der Marktstraße noch nicht. Es wurde ab 1776 im Stil des Spätbarock errichtet und 1770 geweiht. Der Vorgängerbau in der Nicolaistraße - direkt an der Stadtmauer gelegen - stammte wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Das benachbarte Nicolaitor diente zugleich als Glockenturm.

Die Glocken von St. Nikolai (Foto) und St. Kiliani läuteten im Gedenken an den 350. Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses. Zur Zeit dieses Erlasses stand das Gotteshaus noch nicht an der Marktstraße. Es wurde dort ab 1766 im Stil des Spätbarock neu errichtet, am Nikolaustag 1770 in Gebrauch genommen und am 17. November 1771 von Corveys Fürstabt Philipp von Spiegel zum Desenberg  (amt. 1758–1776) geweiht.

Glockenkonzert zum Jahrestag

So war es auch jetzt, als der katholische Pastoralverbund Corvey und die evangelische Weser-Nethe-Kirchengemeinde Höxter die Menschen zum 350. Jahrestag des Gnaden- und Segensrezesses einluden. Das Geläut beider Kirchen kündete von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit im geschwisterlichen Geist der Ökumene vor Ort. Diese Gemeinsamkeit zu feiern, lag den Organisatoren des Glockenkonzerts und des Innehaltens in beiden Kirchen am Herzen. Ein Beisammensein bei Wein und Brot in der Kilianikirche rundete den Gedenktag ab.

Zuvor beleuchtete Josef Kowalski die Vorgeschichte des „auch heute noch nachwirkenden Jahres 1674“. Hinter den Menschen lagen damals 140 Jahre kirchlich-religiöser Auseinandersetzungen. Diese zogen auf, als der enge Luther-Vertraute Landgraf Philipp von Hessen (genannt „Der Großmütige“) am 15. Januar 1533 an einem Fürstentag im Rathaus Höxter teilnahm. „Er brachte die lutherischen Prediger mit in die Stadt und überzeugte Rat und Bürger von der neuen Lehre“, berichtet Josef Kowalski. Eine Richtungsentscheidung folgte auf dem Fuße: Während der Corveyer Abt als Landesherr und die umliegenden Orte katholisch blieben, traten Höxter und die Ortschaften Amelunxen und Bruchhausen der Reformation bei. „Noch im Jahre 1533 wurden die Kirchen St. Kiliani, St. Petri und St. Nikolai von den Bürgern – auch unter Gewaltanwendung – in Besitz genommen“, berichtet Josef Kowalski. „Im Jahre 1555 kam dann auch die Minoriten-Kirche St. Marien in den Besitz der Protestanten.“

Die Kilianikirche ist der älteste Kirchenbau in Höxter und Wahrzeichen der Stadt. Eine frühe Missionskirche an dieser Stelle ist bereits um das Jahr 800 nachgewiesen.

Streit um die Nutzung der Kirchen

Die folgenden Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts seien vom fortwährenden Streit zwischen den katholischen und protestantischen Christen um die Nutzung der Kirchen und des Kirchenguts geprägt gewesen. Dabei sei es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Bildersturm gekommen. „Dennoch war da auch ein ‚Lichtblick‘“, sagt Josef Kowalski. „Die Brüder Donope gestalteten im Jahre 1597 die wunderbare und aussagekräftige Renaissance-Kanzel in St. Kiliani.“

Die Brüder Donope gestalteten im Jahre 1597 die Renaissance-Kanzel in St. Kiliani.

Höxter allerdings habe in kirchlicher und religiöser Spaltung gelebt. „Zudem litt die Stadt fortwährend unter Truppen-Durchmärschen aufgrund des Weser-Übergangs, wechselnden Besatzungen und Einquartierungen von Truppen und Kontributions-Zahlungen. Es war eine katastrophale wirtschaftliche Lage für die Bürger, die schließlich ab November 1601 zur ‚Höxter‘schen Rebellion‘ eskalierte. Dies war der Aufstand der Bürgerschaft gegen den Rat der Stadt aufgrund des Mangels an Arbeit, Verdienst und Ernährung“, blickt Josef Kowalski in die Geschichte. „Diese Volks-Erhebung war neben den Kirchen-Streitigkeiten Ausdruck der Not und der Wut der Bürger über die zugemuteten Belastungen. Zwietracht, Gewalt-Anwendung, Raub und Zerstörung prägten die Folgejahre bis 1609.“

Darüber hinaus habe sich die Gewalt-Spirale um den christlichen Glauben zugespitzt und schließlich 1618 in die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges geführt – „mit katastrophalen Auswirkungen auch auf unsere Stadt Höxter“.

Kurze katholische Zwischen-Phase

Zunächst aber habe es von Mai 1629 bis Oktober 1631 eine kurze katholische Zwischen-Phase gegeben, wie der Kirchenvorstand erläutert. „Corveys Fürstabt Christoph von Brambach war 1624 auf Schloss Neuhaus durch den Kölner Erzbischof Ferdinand, zugleich Bischof von Paderborn, gefangen gesetzt worden.  Am 19. Mai 1629 wurde er aus seinem Exil befreit. Der Fürstabt wurde in seinem Fürstentum und seiner Hauptstadt Höxter begeistert empfangen. Zwölf Bürger und der Bürgermeister empfingen zum ersten Male wieder die ‚Heilige Kommunion‘. An Fronleichnam 1630 hielt der Fürstabt dann ein Pontifikalamt in der Petrikirche und an Fronleichnam 1631 sogar in der Kilianikirche, die bis dahin ununterbrochen im Besitz der protestantischen Bürger gewesen war. Aus dieser Zeit – Anno 1631 – stammt auch der symbolträchtige Taufstein des Meisters Berent Kraft im Renaissance-Stil in St. Kiliani.“

Allerdings sei diese kurze katholische Zwischen-Phase bereits Ende Oktober 1631 beendet gewesen, als der Landgraf Wilhelm von Hessen die Stadt besetzte. „Alle Kirchen in Höxter waren nun wieder in protestantischem Besitz und blieben dies bis in die 1660er Jahre.“

Blutbad von Höxter

Schließlich habe das „Restitutions-Edikt“ des Römisch-Deutschen Kaisers Ferdinand II. vom 6. März 1629 mit seinem Aufruf zur „Rekatholisierung“ zu den entsetzlichen Ereignissen an Ostern 1634 geführt, erinnert Josef Kowalski an einen der dunkelsten Tage in Höxters Stadtgeschichte. „Das der Reformation beigetretene Höxter wurde von 10.000 Soldaten der Katholischen Liga unter dem General Freiherr von Geleen angegriffen. Am 20. April 1634 – Donnerstag nach Ostern – kam es zum ‚Blutbad von Höxter‘, nachdem die Stadt seit dem 15. April eingeschlossen, belagert, mit der Artillerie beschossen und ein Ultimatum zur Übergabe abgelehnt worden war.“ Die Folgen waren verheerend: 1500 Menschen verloren ihr Leben. Verwüstungen und Zerstörungen kündeten ebenfalls vom Ausmaß dieser Katastrophe.

Die konfessionellen Gegensätze und Streitigkeiten dauerten nach dem Blutbad an, so Josef Kowalski. „Die Katholiken hatten bis 1662 keinen Platz für ihre Gottesdienste.“ Auch im Kloster Corvey „verursachten Truppen der Protestantischen Union Raub, Verwüstungen und Zerstörungen“. Es sei die „Todeszone“ für die Abtei gewesen. „Der Abt und die Mönche flohen. Das Konvent-Leben kam völlig zum Erliegen.“

An exponierter Stelle - gleich über dem großformatigen Hochaltargemälde - hat das Wappen des Administrators Christoph Bernhard von Galen in der ehemaligen Abteikirche Corveys seinen Platz.

An exponierter Stelle – gleich über dem großformatigen Hochaltargemälde – hat das Wappen des Administrators Christoph Bernhard von Galen in der ehemaligen Abteikirche Corveys seinen Platz.

Christoph Bernhard von Galen, aufgenommen im Äbtegang im Obergeschoss des Schlosses.

Administrator Christoph Bernhard von Galen, aufgenommen im Äbtegang im Obergeschoss des Schlosses.

Die adeligen Mönche seien nach den Kriegsjahren dann aber wieder zusammengekommen, berichtet Josef Kowalski. „Nach dem Tod des alten Fürstabts Arnold von Valdois 1661 wählten sie Christoph Bernhard von Galen – den wirkmächtigen Fürstbischof von Münster – zum geistigen und weltlichen Herrn in der Fürstabtei.“

Diese Weichenstellung ordnete der Kirchenvorstand und Corvey-Kenner als bahnbrechend ein: „Das war die Wende für eine ‚Renaissance‘ von Corvey und auch für die Wiederherstellung einer friedlichen Bürger- und Kirchenordnung in Höxter.” Der Fürstbischof und Administrator für Corvey und des Fürstentums habe weitreichende Entscheidungen getroffen. Dazu gehörten bedeutende Bauvorhaben für das Kloster selbst: „Unter der Leitung des Hofarchitekten des Paderborner Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg, Johann Georg Rudolphi aus Brakel, wurde ab 1665 bis 1683 die prachtvolle barocke Abteikirche mit der klangvollen Andreas Schneider-Orgel gebaut.“

Christoph Bernhard von Galen gab den Katholiken bereits im Oktober 1662 die Nikolaikirche zurück. Sie stand damals direkt an der Stadtmauer auf der vom Foto-Standpunkt aus gegenüberliegenden Seite der heutigen Nicolaistraße und stammte wahrscheinlich aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Der Kirchturm bildete auch das Stadttor, an das die beiden Steinpfeiler erinnern.

Nach Höxter schauend, erinnert Josef Kowalski daran, dass Christoph Bernhard den Katholiken bereits im Oktober 1662 die Nikolaikirche zurückgab. „Den Franziskanern gestatte er die Rückkehr in ihr Marien-Kloster.“ Angesichts des sich fortsetzenden Streits um die Kirchen in seiner Hauptstadt Höxter habe er schließlich am 17. März 1674 seinen Gnaden- und Segensrezess verfügt.

Erlass mit Hochamt feierlich besiegelt

Dieser habe nicht nur die Konfessionszugehörigkeit der Kirchen der Stadt endgültig geregelt, sondern sei auch mit dem Erlass einer neuen Stadt-Verfassung verbunden gewesen, berichtet Josef Kowalski. Hinzu komme die Neuordnung der Verwaltung der Stadt. „Künftig sollten protestantische und katholische Bürger im Rat vertreten sein unter jeweils einem evangelischen und einem katholischen Bürgermeister.“

Am 8. April 1674 sei der Gnaden- und Segensrezess feierlich besiegelt worden – „mit einem Hochamt und ‚Te Deum‘ in der Marienkirche unter dem Zelebranten Subprior Florenz von dem Velde sowie mit Dank an den Prior Nikolaus von Zitzewitz für sein diplomatisches Geschick bei den vorbereitenden Stadt- und Kirchen-Friedens-Verhandlungen“, verweist der Kirchenvorstand auf die Beteiligung weiterer Corveyer Ordensmänner, von denen einer, Florenz von dem Velde, später als Fürstabt regierte (1696 -1714).

Die alljährliche Ansgar-Vesper zu Ehren des Apostels des Nordens wird in der ehemaligen Abteikirche Corvey in ökumenischer Geschwisterlichkeit gefeiert.

Die alljährliche Ansgar-Vesper zu Ehren des Apostels des Nordens wird in der ehemaligen Abteikirche Corvey in ökumenischer Geschwisterlichkeit gefeiert.

Auswirkungen bis heute aktuell

n der Marienkirche wurde der Gnaden- und Segensrezess am 8. April 1674 mit einem feierlichen Hochamt besiegelt.

In der Marienkirche wurde der Gnaden- und Segensrezess am 8. April 1674 mit einem feierlichen Hochamt besiegelt.

Der Gnaden- und Segensrezess habe die Zentralgewalt des Fürstabts gegenüber Rat und Stadt gestärkt, so Josef Kowalski. Monsignore Andreas Kurte konkretisiert diese Veränderungen in seinem Buch über die Äbte, Fürstäbte und Fürstbischöfe von Corvey: „Die Stadt verlor alle Privilegien und Rechte, die Gerichtsbarkeit fiel an den Landesherrn. Der Rezess bildete die verfassungsrechtliche Grundlage für die Verwaltung der Stadt Höxter und blieb bis zur Säkularisierung des Stifts Corvey gültig.“

Der Erlass habe aber auch, so Josef Kowalski, den religiösen und kirchlichen Frieden in der Stadt und im Fürstentum Corvey wieder hergestellt. „Bis auf den heutigen Tag sind die Auswirkungen des Gnaden- und Segensrezesses aktuell“, bilanziert der Corveyer Kirchenvorstand im Hinblick auf das gedeihliche ökumenische Miteinander, für das die jährlichen Ansgar-Vespern in Corvey, die ökumenischen Gottesdienste zu verschiedenen Anlässen, der Schöpfungsgarten an der Weser und die Pfingstfeierlichkeiten auf dem Heiligenberg strahlkräftige Beispiele seien.

Zum Schluss noch einmal ein Blick auf die Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks. Sie ist das Gesicht der Welterbestätte.

Zum Schluss noch einmal ein Blick auf die Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks. Sie ist das Gesicht der Welterbestätte.