Christen unterschiedlicher Konfessionen mögen im ökumenischen Gebet verbunden bleiben. Zu diesem Schulterschluss im Glaubenszeugnis haben die EKD-Ratsvorsitzende Dr. h.c. Annette Kurschus und Diözesanadministrator Monsignore Dr. Michael Bredeck am Sonntag in der Welterbestätte Corvey bei Höxter vor großem Auditorium aufgerufen. Festlicher Rahmen war die traditionelle ökumenische Ansgar-Vesper im Gedenken an den Heiligen und erfolgreichen Verkünder des Evangeliums.
Der Benediktinermönch Ansgar aus dem französischen Corbie gehörte 822 zu den ambitionierten Ordensmännern, die im Weserbogen bei Höxter das monastische Leben begannen. Schnell leitete er die Klosterschule der jungen Abtei. Und zog alsbald von Corvey aus zu seinen so mutigen und wirkungsvollen Missionsreisen in den Norden Europas.
Als Apostel des Nordens verehrt, hatte der für die Ausbreitung des Christentums bedeutende Glaubenszeuge für seinen Dienst genau das dabei, was die EKD-Ratsvorsitzende und Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, in den Mittelpunkt ihrer Predigt stellte: die Heilige Schrift. Sie zu reflektieren – und das am besten in Gemeinschaft – legte sie den vielen Gästen aus tiefster Überzeugung ans Herz. Schmackhaft machte die Festpredigerin den Zuhörerinnen und Zuhörern die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift anhand der Berufung Ezechiels zum Prophetenamt. In einer Vision weist Gott ihn an, eine Schriftrolle zu essen – um die Schrift zu verinnerlichen und sie dann gestärkt zu verkünden.
Als „Kraft, die uns trägt“ habe Gott aber weder Ezechiel noch uns heute auf die Sonnenseite des Lebens geführt, sagte Annette Kurschus. Die Heilige Schrift liefere auch keine Patentrezepte für die Krisen der Gegenwart und keine Gewissheit darüber, was richtig und was falsch ist. Beispiel: Waffenlieferungen. „Wie gerne würde ich eine eindeutige Antwort finden.“ In der Bibel stehe aber sowohl das Gebot „Du sollst nicht töten“ als auch die Maßgabe, nicht tatenlos zuzusehen wie getötet wird.
Dieser Zwiespalt mache das Einverleiben der Heiligen Schrift nicht leicht. Außerdem enthalte die Bibel auch schwere Kost. Sie deshalb zur Seite zu legen, sei aber die falsche Schlussfolgerung. Denn: „Wer nicht aufhört, sich die Schrift einzuverleiben, wer also weiter auf den Psalmen kaut, auf der Thora und auf dem Evangelium, bleibt nicht unverändert.“ Und wenn in Gemeinschaft über das Wort Gottes gesprochen werde, „dann berührt der Himmel die Erde“, griff die prominente Festrednerin das Motto des Corvey-Jubiläums auf. Gerade in einer Zeit abnehmender Bindung an das Christentum sei es umso wichtiger, gemeinschaftlich Gottes Wort zu reflektieren. „Das brauchen wir. Das braucht die Welt von uns. Wenn wir es nicht tun, tut es niemand“, mahnte die EKD-Ratsvorsitzende.
Gebet reiht sich in die Geschichte des Glaubensortes Corvey ein
„Lassen Sie uns als Christen verschiedener Konfessionen verbunden bleiben“: Diesen Appell der Festrednerin bekräftigte Diözesanadministrator Dr. Bredeck, der den festlichen Gottesdienst im Jubiläumsjahr zum 1200-jährigen Bestehen der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey leitete. Als Liturgen zur Seite standen ihm Bischof Anba Damian, Generalbischof der Koptisch-Orthodoxen Kirche Deutschlands, und Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek, Leiter des Pastoralverbunds Corvey. Die Ansgar-Vesper war zugleich auch der traditionelle Vespergottesdienst des Erzbistums Paderborn für die christlichen Konfessionen in Westfalen und Lippe.
Das gemeinsame Gebet in der Abteikirche reihe sich, so Dr. Bredeck, in die 1200-jährige Geschichte des Glaubens und des Gebets an diesem bedeutenden Klosterort ein. In einer Zeit, in der Christen zur Minderheit werden, sei es umso wichtiger, sich neu auszurichten und gemeinsam das Evangelium von der Liebe Gottes zu allen Menschen zu bezeugen. Insofern könne vom ökumenischen Beten eine neue Kraft ausgehen. Basis sei der Glaube, der vor langer Zeit im Heiligen Land seinen Anfang genommen hat und für den die Mönche aus Corbie vor 1200 Jahren an der Weser ein strahlkräftiges Zentrum geschaffen haben.
Worum es in diesem Glauben geht, fasse das Motto des Corvey-Jubiläums, „Wo der Himmel die Erde berührt“, zusammen, betonte der Diözesanadministrator. Er sei beeindruckt vom großen Engagement der kleinen Kirchengemeinde für diesen hochrangigen Glaubens- und Erinnerungsort.
Dieses Engagement spiegelte sich in der würdigen und festlichen Ausgestaltung der Ansgar-Vesper und auch im anschließenden Empfang mit Vertretern der Kirchen, der Politik und des öffentlichen Lebens im Evangelischen Gemeindehaus in Höxter eindrucksvoll wider. Denn das Beisammensein führte vor Augen, wieviel Herzblut Ehrenamtliche in die Geschicke dieses Weltdenkmals und lebendigen Ortes des Gemeindelebens investieren.
Josef Risse mit Verdienstmedaille geehrt
Beispielgebend stand Josef Risse (82) im Mittelpunkt. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey verlieh ihm für sein 18 Jahre währendes engagiertes Wirken im Kirchenvorstand ihre erste Corvey-Verdienstmedaille. Die Gemeinde hat sie von dem renommierten, international bekannten Schriftkünstler Brody Neuenschwander aus Brügge entwerfen lassen. Monsignore Andreas Kurte, der von 2003 bis 2008 Pfarrdechant in Höxter war, bezeichnete die Medaille in seiner Laudatio für Josef Risse als das „Verdienstkreuz von Corvey, von dem es nur wenige Exemplare gibt, jedenfalls deutlich weniger als vom Bundesverdienstkreuz“.
Brody Neuenschwander ist über Professor Dr. Christoph Stiegemann mit dem Erzbistum Paderborn, insbesondere dem Paderborner Diözesanmuseum, eng verbunden, informierte Andreas Kurte in seiner Laudatio. Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek erläuterte, was auf der Medaille zu sehen ist: „Sie zeigt auf der Vorderseite die Ansicht des berühmten karolingischen Westwerks vor dem bekannten Monogramm Karls des Großen, auf dessen Initiative die Gründung Corveys zurückgeht.“ Die Umschrift zitiere das Motto des Jubiläumsjahres „1200 Jahre Corvey – Wo der Himmel die Erde berührt“. Die Rückseite zeige die lateinische Inschrift der berühmten Grundsteintafel der karolingischen Kirche aus der Zeit um 844. „Darin heißt es mit Bezug auf Kirche und Kloster: ‚Zieh einen Ring um jene Stadt, o Herr, und lass deine Engel die Wächter ihrer Mauern sein.‘“
Sichtlich bewegt nahm Josef Risse die besondere Auszeichnung entgegen. Als er die Medaille erblickte, strahlte er vor Freude. „Sie ist sehr schön“, sagte er. Engagiert für Corvey habe er sich gerne. „Es war eine schöne Zeit.“ Daher sei es lohnenswert, ehrenamtlich Verantwortung zu übernehmen, ermutigte er andere.
Der gebürtige Höxteraner war von 2000 bis 2018 Mitglied im Kirchenvorstand und seit 2003 erster stellvertretender geschäftsführender Vorsitzender. In seine Zeit fielen, so Monsignore Andreas Kurte, Herausforderungen wie die Welterbe-Bewerbung Corveys, die Anerkennung zum Welterbe 2014 und die Restaurierung der hochbedeutenden Andreas-Schneider-Orgel. Josef Risse habe immer den Mut gehabt, auch „heiße Eisen anzupacken“, würdigte der Laudator. „Konflikte waren zu lösen, nachbarschaftliche Absprachen notwendig. Gekniffen hast Du nie, sondern stets die Interessen der Kirchengemeinde vertreten.“
Corvey nimmt herausragende Stellung im Erzbistum ein
Corvey nehme im Erzbistum Paderborn eine herausragende Stellung ein, unterstrich Andreas Kurte. Ebenso wie Risses Nachfolger im Kirchenvorstand, Josef Kowalski, dankte der mit Corvey nach wie vor eng verbundene und heute als Leiter des Pastoralen Raums Brakeler Land tätige Geistliche dem Erzbistum Paderborn. Ohne die Unterstützung des Erzbistums könne die kleine Kirchengemeinde all das nicht leisten. In die Gestaltung der Verdienstmedaille hat sich der Förderverein für das karolingische Westwerk eingebracht. Dafür dankte Josef Kowalski verbunden mit der Anregung, dem Verein beizutreten.
In der Rückschau auf die Ansgar-Vesper würdigte Kowalski die ökumenische Geschwisterlichkeit dieser glanzvollen Feierlichkeiten. So wie der Apostel Paulus im Epheser-Brief von einem Leib und einem Geist, von einem Glauben, einer Taufe und einem Gott und Vater aller Dinge gesprochen habe, „so stehen wir hier in ökumenischem Geist zusammen“. Tim Wendorff, Pfarrer der Evangelischen Weser-Nethe-Kirchengemeinde, resümierte, dass den Gästen in dem Gottesdienst die Heilige Schrift, „die Basis unseres Glaubens ist“, richtig schmackhaft gemacht worden sei. „Das tat wohl.“
Grüße aus Corbie richtete Jocelyne Lambert, Vorsitzende des Arbeitskreises Städtepartnerschaft, aus. Diese seien, so Josef Kowalski, „eine wichtige Botschaft, denn ohne Corbie gäbe es Corvey nicht“.
Für dieses unvergängliche Corvey schlagen die Herzen vieler Begeisterter. Um weitere Corvey-Freude zu gewinnen, startete Andreas Kurte beim Empfang einen launigen Aufruf: „Lassen Sie sich anstecken – nicht vom Corona-, sondern vom Corvey-Virus. Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Gegen den Corvey-Virus gibt es keine Medizin. Sie behalten ihn ein Leben lang, wenn er Sie einmal befällt.“
Im Saal war das Corvey-Virus weit verbreitet. Alle „Mitbetroffenen“ pflichteten Andreas Kurte bei. So auch Josef Risse, dessen verdienstvolles Wirken mit der neuen Medaille eine große Würdigung erfuhr.