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AKTUELLPresse

Führungen zum UNESCO-Welterbetag locken viele Gäste an

Wandmalereifragmente im Westwerk im Licht eines Scheinwerfers genauer betrachten, Farbpigmente an karolingischen Säulen-Kapitellen als Teil eines reichen Farbprogramms einordnen und schließlich im Chorgestühl der barocken Abteikirche die figürlichen Darstellungen großer Persönlichkeiten des Klosters aus nächster Nähe betrachten: Am UNESCO-Welterbetag war dazu in Corvey Gelegenheit.

Auf der Brücke vor den Toren zur Welterbestätte Corvey nahm Annika Pröbe, Standortleitung für das karolingische Westwerk und die ehemalige Abteikirche, die Gäste der Sonderführungen in Empfang. Fotos: Kirchengemeinde Corvey

Mit zwei Sonderführungen beteiligte sich die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus an dem bundesweiten Aktionstag der Deutschen UNESCO-Kommission und des Vereins UNESCO-Welterbestätten Deutschland. „Vermitteln, verbinden, begeistern“: Dieses Motto erfüllte Annika Pröbe, Standortleitung für das karolingische Westwerk und die barocke Abteikirche, bei ihren Rundgängen fesselnd und lehrreich mit Leben.

Unter den etwa 80 Gästen waren viele Bürgerinnen und Bürger aus der Region. Für sie ist das einzige Welterbe in Westfalen ein Stück Heimat, das es sich lohnt, immer wieder neu zu entdecken. „Auch wenn man oft in Corvey ein- und ausgeht, lernt man immer wieder etwas Neues“, bilanzierte eine der Teilnehmerinnen nach der Führung.

Botschafter des Welterbes

Annika Pröbe freut das große Interesse vor Ort. Denn es ist ihr ein Herzensanliegen, auch die Menschen im unmittelbaren Umfeld für Corvey zu begeistern – sodass sie zu Botschaftern des Welterbes vor der eigenen Haustür werden.

Dieses hochkarätige Denkmal mit Strahlwirkung auch als Glaubensort hat viel zu erzählen. Das fängt schon in der Vorhalle und am Portal des Westwerks an. Beide waren einst farbig gefasst. Am Portal deuten grüne und rote Farbpigmente an, wie Baukünstler die Architektur schon den Eingang farbig akzentuiert haben. „Wir können nachweisen, dass diese Farbreste aus der Erbauungszeit des Westwerks stammen“, sagte Annika Pröbe. Sie sind also fast 1200 Jahre alt. Denn das nachträglich vor die 844 geweihte, erste Basilika des Klosters gebaute Westwerk ist 885 fertiggestellt worden.

Lehrreiche Führung mit Annika Pröbe (rechts): Sie zeigte den Gästen Farbpigmente, unter anderem an den Kapitellen der Säulen in der Erdgeschosshalle. Diese lassen Rückschlüsse auf die farbige Ausgestaltung des karolingischen Westwerks zu.

Dass die damalige Dreiturmfront die Menschen schwer beeindruckt haben muss, davon vermittelte Annika Pröbe den Gästen beim Welterbetag eine Vorstellungskraft. Denn das Westwerk war im 9. Jahrhundert einer der ersten Steinbauten der Region, trug an der Fassade eine Inschriftentafel mit goldenen Buchstaben und setzte drinnen mit seiner farbig gefassten Architektur noch eins drauf.

Gewaltiger Kulturtransfer

Von diesem gewaltigen Kulturtransfer, den die Gründermönche des Weserklosters 822 aus dem westfränkischen Corbie mitgebracht hatten, ist viel erhalten geblieben: Offensichtliches wie in der Erdgeschosshalle die Säulen mit ihren kunstvollen korinthischen Kapitellen und Zaghaftes wie die bedeutenden Wandmalereifragmente im gesamten Westwerk.

Man muss schon genauer hinsehen, wenn man sie entdecken will. Und am besten auch gleich erfahren, dass sich anhand dieser Reste die gesamte Farbigkeit dieses charismatischen Raumes rekonstruieren lässt.

Das können die Wissenschaftler, erläuterte Annika Pröbe bei den Führungen zum Welterbetag. Nach dem Blick auf die Kapitelle im Erdgeschoss richtete sie den Scheinwerfer (im wahrsten Wortsinne) auf einen in Teilen erhaltenen Wandfries im Südseitenschiff der Erdgeschosshalle. Um diese Wandmalerei zu sichern, läuft seit 2022 ein Forschungsprojekt mit dem LWL, dem NRW-Fachministerium und dem Erzbistum. Fachleute unterschiedlicher Disziplinen untersuchen klimatische Ursachen für Schadensbilder und fangen schon jetzt an, das Klima zu regulieren. Das erklärt die Luftentfeuchter, die die Kirchengemeinde im Erdgeschoss und im Johanneschor aufgestellt hat.

Auf die karolingischen Wandmalereien im Südseitenschiff der Erdgeschosshalle des Westwerks und die restauratorischen Erfordernisse für den Erhalt dieser Kostbarkeiten richtete Annika Pröbe den Scheinwerfer bei den Führungen zum Welterbetag.

Skizzenköpfe und Vorzeichnungen

Die Emporenkirche im Obergeschoss war die nächste Station der Welterbe-Führung. Annika Pröbe ließ die sensationelle Entdeckung der Vorzeichnungen für lebensgroße Stuckfiguren durch Hilde Claussen aufleuchten und erläuterte die berühmte Odysseus-Szene unter der Westempore samt christlicher Umdeutung durch die Mönche. Sie machte den Schaffensprozess der Künstler transparent, indem sie das Augenmerk der Gäste auf die erhaltenen Skizzenköpfe unter der Odysseus-Szene richtete. Und erläuterte auch, dass Corvey als reichsunmittelbares Kloster dank des direkten Drahts zur Herrscherfamilie im Westwerk vom Bau bis hin zur Ausgestaltung mit ornamentaler, geometrischer und figürlicher Wandmalerei sowie mit den lebensgroßen Stuckfiguren auf den Arkadenwickeln des Johanneschores Künstler vom Rang und Namen beschäftigen konnte.

Der Weg in die Abteikirche glich dann einer Zeitreise vom frühen Mittelalter in den Barock. Annika Pröbe nahm die beiden Gruppen mit in den sonst für Besucher nicht zugänglichen Chorraum der und erläuterte auch hier interessante Besonderheiten. Die Barockkirche gehört zwar nicht zum Welterbe, ist aber auf dem Grundriss der im Dreißigjährigen Krieg untergegangenen karolingischen Basilika erbaut worden und ein erkundenswerter Sakralraum mit hohem Denkmalwert.