Sie waren die ersten Europäer – und knüpften Beziehungen, die bis heute Bestand haben: Vor fast 1200 Jahren gründeten Benediktinermönche aus dem französischen Corbie im Weserbogen bei Höxter ein neues Kloster. So wie Tochter- und Mutterabtei in den ersten Jahren in regem Austausch miteinander standen, besteht heute zwischen Höxter und Corbie eine enge Freundschaft. Beide Städte verbindet seit annähernd sechs Jahrzehnten eine Partnerschaft – erblüht aus europäischem Geist und dem Wertekompass der Gottesmänner, die ihren christlichen Glauben im frühen Mittelalter von der Somme an die Weser gebracht haben.
In den kommenden Jahren treffen sich nun zwei große Jubiläen: Die Gründung Corveys liegt 2022 genau 1200 Jahre zurück. Und die Partner aus Höxter und Corbie begehen 2023 das 60-jährige Bestehen ihrer Freundschaft, die ja eigentlich schon in karolingischer Zeit begonnen hatte. Daher ist es dem Arbeitskreis Städtepartnerschaft im Heimat- und Verkehrsverein Höxter (HVV) unter der Leitung von Jocelyne Lambert und der katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey ein Anliegen, die Freunde aus Höxter und Corbie anlässlich der bevorstehenden Jahrestage und ihrer Festveranstaltungen sowohl an der Weser, als auch an der Somme zusammenzuführen. Jocelyne Lambert steht wegen der Jubiläen bereits in Kontakt mit den Partnern in Corbie.
Seit Jahrzehnten gestaltet sie die Beziehungen beider Städte federführend mit. Und nicht nur Corveys, sondern auch ihre eigenen Wurzeln liegen an der Somme: Jocelyne Lambert stammt aus der Nähe von Corbie und war 1969 – im Rahmen der Städtepartnerschaft – als Schülerin zum ersten Mal in Höxter. Damals ahnte sie nicht im Entferntesten, dass sie in der befreundeten Stadt an der Weser einmal zuhause sein und eine deutsch-französische Familie gründen würde. Das tat die sprachtalentierte Französin dann aber. Aus dem geplanten Jahr in Höxter wurde ein ganzes Leben. Jocelyne Lambert lernte ihren späteren Ehemann Franz Darley kennen und blieb. Das Paar lebt in Brenkhausen. Sohn Christophe ist inzwischen erwachsen. Er ist mit der Städtepartnerschaft, die beiden Eltern so am Herzen liegt, groß geworden und wie sie ein überzeugter und leidenschaftlicher Europäer.
Eine der ältesten grenzüberschreitenden Verbindungen
Die Partnerschaft zwischen Höxter und Corbie gehört zu den ältesten grenzüberschreitenden Verbindungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geknüpft wurden. Als sie im Juni 1963 begründet wurde, hatten Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer gerade erst den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterschrieben. Als Elysee-Vertrag hat er einen wichtigen Platz in der Nachkriegsgeschichte. Die Tinte war (bildlich gesehen) noch nicht ganz trocken, als Menschen aus Höxter und Corbie ihre bereits seit Ende der 1950-er Jahre gepflegten Verbindungen offiziell besiegelten.
Die mehr als 1000 Jahre währenden gemeinsamen historischen Wurzeln machen diese deutsch-französische Städtepartnerschaft zu einem eher seltenen Fall. Auf diese Besonderheit hat Dr. Gerd-Reiner Mayer, Mitglied des Arbeitskreises Städtepartnerschaft im HVV Höxter, in der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen der Freundschaft 2003 hingewiesen. „Es ist das Verdienst Fritz Bürmanns, des seinerzeitigen Schulleiters des König-Wilhelm-Gymnasiums (KWG), die historische Verbindung zwischen Corbie und Höxter-Corvey neu bewusst gemacht und zur Anknüpfung einer neuen Beziehung genutzt zu haben“, betont Dr. Mayer, der später ebenfalls das Gymnasium leitete.
Erste Studienfahrt 1958
Fritz Bürmann war 1958 auf einer Frankreich-Studienfahrt mit seiner Oberprima in Corbie gewesen – und wurde von Bürgermeister und Stadtrat herzlich empfangen. Die Schülerinnen und Schüler besuchten auch die ehemalige Abteikirche des 662 gegründeten und schnell zu einem bedeutenden geistig-kulturellen Zentrum avancierten Klosters Corbie. Am Glasschrein mit den Gebeinen Adalhards erinnerte Dechant André Verfaille die jungen Gäste aus Höxter an diesen bedeutenden Abt und Gründer Corveys.
Aus diesen ersten Begegnungen – nur 13 Jahre nach Kriegsende – erwuchs auf beiden Seiten die Idee einer offiziellen Städtepartnerschaft. Es sollte nur fünf Jahre dauern, bis diese Vision offiziell besiegelt wurde.
Fritz Bürmann selbst hob beim 20-jährigen Bestehen der Freundschaft 1983 im Rückblick auf die Anfänge hervor, dass „nur wenige Partnerschaften deutscher und französischer Städte in einem so festen geistigen, gemeinsamen historischen Boden gegründet“ sind: „Die geistige und historische Bedeutung der Stadt und der Abtei Corbie – urbs aurea, altera Roma (Stadt des Goldes, das andere Rom) – und ihrer Tochterabtei Corvey sowie deren Gründung im Jahre 822 durch die politisch und ökonomisch wagemutigen Vettern Karls des Großen, Adalhard und Wala, verleihen der Partnerschaft ihren außergewöhnlichen Charakter und ihren beispielhaften Wert.“ Diese langen Bande ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gebracht zu haben, ist ein großes Verdienst des hochgeschätzten ehemaligen KWG-Direktors Fritz Bürmann.
St. Ansgar baut Brücken
Auf französischer Seite rückten die Menschen ebenfalls schon vor der offiziellen Gründung der Städtepartnerschaft die historischen Verbindungen in den Fokus: Bei der 1300-Jahr-Feier 1962 in Corbie erinnerte im Festzug ein Modell des Westwerks an die ehemalige Tochterabtei „Nova Corbeia“ (neues Corbie) an der Weser. Und auch der heilige Ansgar baut bis heute Brücken: Er war Leiter der Klosterschule in Corbie, übernahm in der neuen Abtei die gleiche Aufgabe und brach von der Weser aus zu seinen Missionsreisen in den Norden Europas auf. In der ehemaligen Abteikirche von Corbie erinnert seit 1982 eine Ansgar-Statue an den „Apostel des Nordens“. Eine Kopie dieser Skulptur steht ihm zu Ehren im Park des Krankenhauses in Höxter, das Ansgars Namen trägt. Sie würdigt den Heiligen und gleichzeitig die Verbundenheit zwischen Höxter und Corbie.
Diese Zeichen des Schulterschlusses erfreuen Jocelyne Lambert ebenso wie die vielen regelmäßigen Begegnungen. „Ich war von Anfang an von dieser Partnerschaft überzeugt“, resümiert sie. „Meine Familie hat in der NS-Zeit viel Leid erfahren. Vor diesem Hintergrund habe ich die neue Idee, Freundschaft zu schließen und Frieden schaffen, als richtigen Weg empfunden.“
Ihre Heimatregion sei geprägt von beiden Weltkriegen. „Die Kämpfe an der Somme im Ersten Weltkrieg sind leider weltberühmt.“ Nur 21 Jahre später brachte erneut ein Krieg viel Leid über die Menschen. Als Adenauer und de Gaulle schließlich die deutsch-französische Freundschaft begründeten, hätten visionäre Gesten beider Staatsmänner und letztlich der Elysee-Vertrag das Vertrauen auf einen Frieden in Europa wachsen lassen.
Wichtige Säulen für ein gemeinsames Europa
Dieses Anliegen, so Jocelyne Lambert, verliere nie an Aktualität. Freundschaften wie die zwischen Höxter und Corbie „bleiben die wichtigsten Säulen für ein gemeinsames Europa“. Der Austausch zwischen den Menschen sei das wichtigste. Davon lebe auch die Partnerschaft zwischen Höxter und Corbie. Diese werde von Familien getragen. „Sie sind das solide Fundament dieser Städtepartnerschaft. Die Freundschaft ist in den Familien verankert.“ Drei Generationen seien bei den Begegnungen immer vereint. „Bei unserer letzten Fahrt nach Corbie war der älteste Teilnehmer 85 und der jüngste zehn.“ Kontakt halten die Freunde auch außerhalb der Treffen. Und sie helfen sich gegenseitig. Als Abbé Jean Verfaille aus Corbie Ende der 1970-er Jahre einen schweren Unfall erlitt, wurde er zur Spezialbehandlung im Privatflugzeug eines Höxteraner Unternehmers zur WBK geflogen und dort behandelt. „Auch das ist Städtepartnerschaft“, sagt Jocelyne Lambert. Vereine, Gruppen und Kirchengemeinden haben sie im Laufe der Jahre ebenfalls beherzt und engagiert mit Leben erfüllt. Zu Jahrestagen gab es Poststempel. Von den vielen Aktivitäten künden Festschriften, Fotos und Zeitungsberichte. Jocelyne Lambert würde sich wünschen, dass die Festschriften der Jahrestage zu einer Gesamtchronik zusammenfasst werden. Und dass Gastgeschenke, Fotos und andere Dokumente der Partnerschaft in Höxter einen Platz zur dauerhaften Ausstellung finden. In Corbie ist dies der Fall. An der vom 1792 aufgelösten Kloster erhaltenen Ehrenpforte erinnert in einem eigens eingerichteten Partnerschaftssaal eine für jeden zugängliche Ausstellung an die Freundschaft mit Höxter.
Begegnungen liegen angesichts der Corona-Pandemie auf Eis. Jocelyne Lambert hofft, dass die wechselseitigen Besuche der Städtepartner eines nicht fernen Tages wieder möglich sein werden.