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Corvey und das Erbe der Antike: „Zauberstimmen“ zum Endspurt der Ausstellung

By 20. Januar 2025Januar 27th, 2025No Comments

Ein Konzerthighlight mit der Mädchenkantorei des Doms, zwei Abende mit langen Öffnungszeiten: In der Schlusskurve der großen Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ schafft das Team des Diözesanmuseums Paderborn letzte attraktive Besuchsanlässe. Die Schau endet am Sonntag, 26. Januar.

Gleich beim Betreten der Ausstellung ist Corvey präsent: Der Blick richtet sich hinauf zur Inschriftentafel aus der Gründungszeit des Weserklosters. Die Ausstellungsmacher zeigen das Westwerk, an dessen Fassade die Platte aus Sollingsandstein angebracht war (heute hängt dort eine Kopie), in seiner ursprünglichen Baugestalt als Dreiturmfassade. Die Silhouette links erinnert an den Stifter des Klosters, Ludwig den Frommen. Die Inschriftentafel bekommt nach der Ausstellung mitsamt der Halterung einen Platz im Johanneschor des Westwerks. Fotos: Sabine Robrecht

Corvey und das Erbe der Antike. Kaiser, Klöster und Kulturtransfer im Mittelalter“: Unter diesem Titel haben viele Gäste eine Zeitreise ins mittelalterliche Corvey unternehmen können. Die heutige Welterbestätte am Weserbogen ist Ausgangspunkt der hochkarätigen Schau. Denn das 822 gegründete Kloster kann in der Antikenrezeption des frühen Mittelalters Weltgeltung für sich beanspruchen.

Leidenschaft hat Dynamik erzeugt

Um die Antikenbegeisterung dieser Epoche geht es in der hochkarätigen Ausstellung. Mehr als 120 charismatische Exponate aus vieler Herren Länder erzählen davon, wie sich ausgehend von den karolingischen Höfen das Faible für das Altertum und seine Kultur unter den Gelehrten des frühen Mittelalters verbreitet hat. Diese Leidenschaft hat eine Dynamik erzeugt, der es zu verdanken ist, dass sich antikes Wissen über Politik, Philosophie, Kunst, Architektur und Literatur bis heute überliefert hat. In den Skriptorien der Abtei Corvey und anderer Klöster haben Mönche und Nonnen im Mittelalter Texte antiker Autoren vervielfältigt und sie damit vor dem unwiederbringlichen Verlust bewahrt. Handwerker arbeiteten Kunstwerke aus der Antike um oder schufen Kunst nach ihrem Beispiel.

Das Team des Diözesanmuseums Paderborn hat Zeugnisse dieses bedeutenden Kulturtransfers zusammengeholt und anlässlich der Ausstellung auch mehrere umfangreiche Forschungs- und Restaurierungsprojekte in Zusammenarbeit mit Partnermuseen realisiert. Nach dem 26. Januar kehren die wertvollen Handschriften, die Schatzkunst sowie die Architektur- und Wandmalereifragmente nun in die leihgebenden Museen, Bibliotheken und Archive zurück. Einen vergleichsweise kurzen Weg hat die berühmte Inschriftentafel aus der Gründungszeit des Klosters Corvey, die als treffliches Beispiel für die Adaption antiker Monumentalinschriften im frühen Mittelalter zu den Glanzlichtern der Schau gehörte. Die Sandsteinplatte wird aus konservatorischen Gründen innerhalb der Mauern des karolingischen Westwerks aufbewahrt. Sie bekommt mitsamt der Halterung einen Platz im Johanneschor. Draußen, an der Fassade, übernimmt eine Kopie ihre wichtige Aufgabe.

„Schönste Mittelalterausstellung“

Eine besondere Kostbarkeit der Ausstellung ist das Prager Evangeliar. Die Handschrift war im 10. Jahrhundert Teil der Bibliothek des Klosters Corvey. „Ob es dort auch entstand, ist bis heute unklar“, erläutern die Paderborner Ausstellungsmacher. „Die kostbare Handschrift wurde in jedem Falle zum Vorbild für die in Corvey aufblühende Buchmalerei-Schule.“ Das Metropolitankapitel St. Veit in Prag hat das kostbare Evangeliar nach Paderborn entliehen.

Diese Kostbarkeit zeigt einen karolingischen Bergkristall-Steinschnitt aus der Zeit um 900, der in der Spätgotik (15./16. Jahrhundert) als zentraler Stein in ein Standkreuz eingefügt wurde. Der Bergkristall gehört zu den am kunstvollsten ausgeführten Steinschnitten der Karolingerzeit. Insgesamt haben sich nur 20 Exemplare erhalten, die oft eine Kreuzigungsszene zeigten. Das Kreuz kommt aus den Städtischen Museen Freiburg.

Am zwischenzeitlichen Aufenthaltsort des Originals, dem Diözesanmuseum, ziehen die Ausstellungsmacher ein positives Fazit: „Wir blicken zurück auf vier spannende und inspirierende Monate und freuen uns sehr darüber, dass wir auch viele junge Besucher*innen ansprechen konnten. Das Thema und die außergewöhnlichen, kostbaren Leihgaben haben zudem viele internationale Gäste nach Paderborn gebracht und zu einem anregenden Austausch geführt“, freut sich Museumsdirektor Dr. Holger Kempkens. Ausstellungskuratorin Dr. Christiane Ruhmann ergänzt: „Ein besonderes ‚Weihnachtsgeschenk’ hat uns die Frankfurter Allgemeine Zeitung gemacht. Die Redaktion zählt ‚Corvey und das Erbe der Antike‘ als ‚schönste Mittelalterausstellung‘ zu den zehn besten Ausstellungen des Jahres 2024 in Deutschland.“

Kunst und Kulinarik

Ein Veranstaltungshighlight kurz vor Ausstellungsende ist der Auftritt der beliebten Mädchenkantorei am Paderborner Dom unter der Leitung von Domkantor Patrick Cellnik am Mittwoch, 22. Januar. Auf den verschiedenen Ausstellungsebenen des Museums werden Werke zu hören sein, mit denen der Chor schon bei der Eröffnung der Schau im September begeisterte – so auch der Choral „Civitatem istam“. Dieser bezieht sich auf den Text der berühmten karolingischen Inschriftenplatte des Corveyer Westwerks. Die Aufführung mit dem Titel „Zauberstimmen“ beginnt um 19.30 Uhr (Einlass ab 19 Uhr). Tickets (sechs Euro) sind über die Museumskasse vorab erhältlich.

„Bei der unterhaltsamen Veranstaltung ‘Kunst und Kulinarik’ am Freitag, 24. Januar, trifft wieder Kulturgenuss auf Genusskultur“, kündigt das Museumsteam an. „Wir starten mit einem geführten Rundgang durch die Sonderausstellung  ‘Corvey und das Erbe der Antike’ und lassen uns von den antiken und mittelalterlichen Schätzen begeistern. Zum kulinarischen Teil des Abends kommt es anschließend im ‘heinrichs’, wo wir in exklusiver Runde und begleitet von einem köstlichen Drei-Gänge-Menü ins Gespräch kommen wollen.” Beginn ist um 16.30 Uhr. Die Teilnehmenden treffen sich im Foyer des Diözesanmuseums.

Verlängerte Öffnungszeiten Ende Januar

Das karolingische Westwerk und die ehemalige Abteikirche sind auch an den letzten beiden Ausstellungs-Sonntagen jeweils von 10 bis 14 Uhr geöffnet.

Als Antwort auf viele Nachfragen gibt es zum Endspurt der Ausstellung verlängerte Öffnungszeiten: Um insbesondere berufstätigen Menschen den Museumsbesuch zu ermöglichen, ist das Diözesanmuseum am Freitag, 24., und Samstag, 25. Januar, jeweils bis 20 Uhr geöffnet. Am Sonntag, 26. Januar, finden zudem die letzten beiden öffentlichen Führungen von 14.30 bis 16 Uhr und von 16.30 bis 18 Uhr statt. Anmeldungen sind am Veranstaltungstag ab 10 Uhr telefonisch möglich. In der Welterbestätte Corvey öffnen das karolingische Westwerk und die barocke Abteikirche an diesem letzten Sonntag der Ausstellung wie gehabt von 10 bis 14 Uhr.

Mehr als 100 Veranstaltungen, Führungen und Workshops

In ihrer Erfolgsbilanz blicken die Ausstellungsmacher auch auf mehr als 100 Veranstaltungen, Führungen und Workshops für die verschiedenen Interessens- und Altersgruppen zurück. Diese Angebote ermöglichten es den Gästen, auf ganz unterschiedliche Weise in die Antikenüberlieferung der mittelalterlichen Klöster einzutauchen. Klassiker wie Direktoren- und Kuratorinnenführungen, aber auch Führungen mit Meditationen, ein Comic-Workshop und weitere Angebote für Kinder und Jugendliche flankierten die große Ausstellung. Ein besonderes Highlight war die Kunstperformance „Tell me O Muse“ mit dem Künstler und Kalligraphen Brody Neuenschwander. Hinzu kam das museumspädagogische Programm für Schulen und Kitas, welches Kindern und Jugendlichen die Zeit des mittelalterlichen Corvey näherbrachte.

Vom Mittelalter in die Gegenwart

Nach dieser spannenden Zeitreise öffnet sich das Diözesanmuseum ab dem 28. März mitBefore the Wind“ für die zeitgenössische Kunst.  In Zusammenarbeit mit dem Künstler*innenkollektiv Brieske/Baumann entsteht eine vielschichtige Inszenierung, die zugleich Ausstellung und Performance sein wird. Dabei dreht sich alles um den Wind.

Dafür werden die jahrhundertealten Kunstwerke der Museumssammlung mit zeitgenössischen Arbeiten kombiniert: Skulpturen, Videos, Musik- und Soundstationen der Künstlerinnen Claudia Brieske (Berlin) und Franziska Baumann (Bern) lassen das Naturphänomen, das in unserer heutigen Gesellschaft – sei es als Bedrohung in Folge des Klimawandels, sei es als Ressource – immer bedeutender wird, in der Ausstellung lebendig werden. Das Projekt „Before The Wind“ ist sowohl eine Ausstellung als auch eine vielschichtige vokale Inszenierung mit Live-Video, Gesang und Chor, die für die spezifische Architektur des Diözesanmuseums Paderborn konzipiert wird. „Leichte Brisen, schnelle Böen, brausende Stürme oder Klang-Performances – der Wind hat viele Gesichter.“

Dieser Wind weht bald durch die Ausstellungsebenen. Zunächst ist das Museum aber aufgrund der Ab- und Umbauarbeiten ab dem 27. Januar geschlossen.