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AKTUELL

Corveyer Hexenstieg: Weinstöcke bringen prachtvolle Trauben hervor

By 21. September 2025No Comments

Die jüngere Weingeschichte des Klosters Corvey findet auch in diesem Jahr eine gedeihliche Fortsetzung: Dort, wo die Mönche der ehemaligen Benediktinerabtei und heutigen Welterbestätte im 17. Jahrhundert Wein anbauten, hat der passionierte Hobbywinzer Michael Rindermann jetzt zusammen mit Gleichgesinnten an einem sonnigen September-Samstag prachtvolle Trauben geerntet.

Weinlese auf dem Corveyer Hexenstieg: Felix Rekitt ist neu im „Team Hexenstieg“ und hat mit Freude bei der Weinlese mit angefasst. Michael Rindermann ist sehr glücklich über die Qualität der Trauben. 

Seit 2009 betreut der 74-jährige Weinkenner und frühere Inhaber des Corveyer Weinhauses mit Hingabe und Expertise 99 Weinstöcke am Räuschenberg oberhalb Höxters. Die erzeugten Weine, weiß und rot, tragen das Label „Corveyer Hexenstieg“. Die Phönix- und Regent-Trauben für die edlen Tropfen reifen genau dort heran, wo das Kloster am Weserstrand vor mehr als 300 Jahren einen letzten Weinanbau-Versuch unternommen hatte: Fürstabt Christoph von Bellinghausen (1678 – 1696) ließ am 25. Mai 1680 am Südosthang des Räuschenberges einen Weinberg anlegen.

Die anfangs erfolgversprechende Unternehmung war nur von kurzer Dauer. Die Wetterkapriolen der Kleinen Eiszeit, der kalkige Boden und die überaus empfindlichen Reben hatten dem Wein des Räuschenberges so zugesetzt, dass er mit der Konkurrenz aus dem Süden des Reiches nicht mithalten konnte. Michael Rindermann geht davon aus, dass wahrscheinlich die falschen Rebsorten in den Muschelkalkboden gepflanzt worden sind. 1705 wurde der Weinanbau jedenfalls nach mehreren Missernten endgültig eingestellt.

Weinbergkapelle legt Zeugnis ab

Blick auf die Weinbergkapelle.

Über dieses recht kurze Kapitel der Klostergeschichte legte drei Jahrhunderte lang allein die 1689/90 mitten im Berg errichtete Weinbergkapelle ein weithin sichtbares Zeugnis ab. 304 Jahre nach dem Scheitern des Weinanbaus wagte Michael Rindermann dann an gleicher Stelle den Neuanfang. Der Weinberg mit Traumaussicht auf das Wesertal und (Fern-)Blick auf Corvey bringt mittlerweile meist um die 100 Flaschen im Jahr hervor.

Die angepflanzten beiden Rebsorten komplettiert Michael Rindermann als Kenner der Corveyer Weingeschichte inzwischen mit einer Reminiszenz an die Gründungszeit der Benediktinerabtei: An zehn Weinstöcken wächst der „Gelbe Orleans“. Diese Rebsorte soll Karl der Große aus Frankreich an den Rhein gebracht haben. Und auch sein Sohn Ludwig der Fromme – Stifter des Klosters am Weserstrand – muss den Orleans gekannt haben. Gut möglich also, dass Corveys Konvent dieser Wein geläufig war.

Orleans noch nicht lesereif

Die Orleans-Trauben dieses Jahres sind bei der Ernte am sonnigen Septembersamstag 2025 noch nicht lesereif. Die Kerne in den Trauben müssen braun sein, beim Orleans sind sie noch grün. „Allerhöchste Zeit wird es aber für den Phönix“, sagt Michael Rindermann vor Ort. Und deutet auf das Blattwerk der Weinstöcke. „Es geht ins Gelbe über.“ Das zeige, dass keine Assimilation mehr stattfindet und kein Oechsle-Zuwachs zu erwarten ist.

Das Ergebnis der Messung lässt sich mit dem Gerät auch sofort ablesen.

Mit dem Refraktometer ermittelt Michael Rindermann den Oechsle-Grad. 

Der Oechsle-Grad liegt bei den Phönix-Trauben für den Weißwein in diesem Weinjahr zwischen 65 und 75. Einige Beeren nähern sich der 80. Diese Werte ermittelt Michael Rindermann während der Lese mit dem Refraktometer. An die 100 Grad Oechsle – wie beim Jahrhundertjahrgang 2022 – kommt die Ernte dieses Jahres nicht heran. „Die Feuchtigkeit in der Reifezeit hat gefehlt“, erläutert Michael Rindermann die Gründe. „Die Trockenheit hat verhindert, dass der Oechsle-Grad wie 2022 durch die Decke ging.“

Schön wie im Bilderbuch

Die roten Regent-Trauben im Sonnenschein.

Das betrifft auch die Regent-Trauben, die den Rotwein des Labels „Corveyer Hexenstieg“ hervorbringen. Sie sind schön wie im Bilderbuch. Und schmecken so süß wie sie ausschauen. „Allerdings sind die Beeren in diesem Jahr dickschalig“, sagt der passionierte Weinbauer. Das macht die Rotwein-Erzeugung aufwändig. Denn in der Schale steckt die Farbe. Von Hand muss Michael Rindermann sie lösen. Mit ausgewählten Trauben nimmt er diesen Aufwand in Kauf. Aus allen anderen wird, wie er ankündigt, „ein toller Rosé“. „Dafür brauche ich die Schalen nicht.“

Insgesamt ist es eines der schönen Weinjahre, das mit der Lese bei Sonnenschein jetzt seinem Ende entgegengeht. „Wir hatten zum ersten Mal nach drei, vier Jahren keine Pilzerkrankungen“, bilanziert Michael Rindermann. 2022, 2024 und 2025 seien gute Weinjahre gewesen. 2022 passten Menge und Oechse-Grad, deshalb geht der Wein als  Jahrhundert-Jahrgang in die Geschichte des Corveyer Hexenstiegs ein. In diesem Jahr sind die Trauben so schön ausgebildet wie nie. Die Menge stimmt auch.

Warum der Hobbywinzer das Jahr 2024 trotz der zerstörerischen Frostnacht Ende April als positiv verbucht, begründet er so: „Der Ertrag war gering, die Qualität war aber gut.“ Die eine Nacht hat nicht nur in Höxter, sondern auch in den einschlägigen Weinanbaugebieten wie der Saale-Unstrut-Region verheerende Schäden angerichtet und riesige Ernteausfälle mit sich gebracht. Am Corveyer Hexenstieg beschränkte sich die Ernte, wie Michael Rindermann scherzt, auf „homöopathische Mengen“.  Der ehemalige Weinhändler hatte nach der folgenschweren Frostnacht alle Hände voll zu tun, um den Weinberg zu retten. Dank seiner Expertise und seiner Schaffenskraft tragen die 99 Rebstöcke in diesem Jahr die besonders prächtigen Früchte.

Frank Viehhofer (von links), Felix Rekitt, Eberhard Geitel und Professor Christoph Althaus nach getaner Arbeit. Die vier Mitstreiter haben Michael Rindermann bei der Weinlese tatkräftig unterstützt. Fotos (2): Michael Rindermann

Kein Weinjahr ist wie das andere

Eines haben alle Weinjahre seit 2009 gemeinsam: Keins ist wie das andere. Und keins ist vorhersehbar. Der Weinanbau am Räuschenberg ist immer auch ein bisschen Lotteriespiel. Und macht dem „Corveyer Hexenstieg“ trotzdem alle Ehre.

Auch zu Messwein verarbeitet Michael Rindermann Trauben vom Corveyer Hexenstieg. Die beiden Flaschen rahmen eine Statue des hl. Urban, des Schutzpatrons der Winzer. Sie ist schon lange in Michael Rindermanns Besitz.

Auch zu Messwein verarbeitet Michael Rindermann Trauben vom Corveyer Hexenstieg. Die beiden Flaschen rahmen eine Statue des hl. Urban, des Schutzpatrons der Winzer. Sie ist schon lange in Michael Rindermanns Besitz.

Verkauft wird der edle Tropfen vom letzten Weinberg der Mönche nach wie vor nicht. Er wird im privaten und kirchlichen Rahmen sowie bei Veranstaltungen ausgeschenkt. Denn Michael Rindermann und seine Crew betreiben den Weinanbau nicht kommerziell, sondern als Hobby. Das Welterbe Corvey liegt dem ehemaligen Weinhändler dabei immer am Herzen: Das 1200-jährige Bestehen des Klosters bereicherte er in Zusammenarbeit mit den Betriebsnachfolgern des Corveyer Weinhauses mit dem Gelben Orleans als Jubiläumswein.

 

Messwein vom Corveyer Hexenstieg

Trauben vom Weinberg oberhalb des Wesertals verarbeitet Rindermann auch zu Messwein. Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek überreichte eine Flasche an den Gastprediger des Vitusfestes 2025, Abt Cosmas Hoffmann von der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede. So wird der edle Tropfen aus dem geschichtsträchtigen Weinberg zu einem Botschafter Corveys.

Von 2024, dem Jahr mit Erträgen in homöopathischen Dosen, hat der Hobbywinzer aus einem Kleinstbehälter kürzlich die letzten zwölf Flaschen abgefüllt. „Die lege ich zur Seite.“ Um vielleicht zu seinem 75. Geburtstag im Dezember die eine oder andere aufzumachen. Dann gehen seine Gedanken hinauf zum Weinberg – zu den Rebstöcken, die er mit Hingabe hegt und pflegt, und auch zum Weserkloster, an dessen letzten Weinanbau-Versuch im 17. Jahrhundert er am Original-Schauplatz anknüpft und regionale Kulturgeschichte fortschreibt.