Wer die Geschichte der Sachsen nachzeichnet, kommt an Corvey nicht vorbei. Warum, das offenbart aktuell eine filmische Spurensuche – zu sehen am Samstag, 26. Juli, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr bei ARTE, bis 21. Januar 2026 in der Mediathek des europäischen Kulturkanals sowie demnächst auch im MDR-Fernsehen.

An Corvey führt kein Weg vorbei: Bei der Spurensuche zur Geschichte der Sachsen ist Corvey Dreh- und Angelpunkt. Denn Widukind, Mönch des Klosters, verfasste in der ehemaligen Reichsabtei seine Sachsengeschichte. Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Die Spurensuche führt in die Zeit vom vierten bis ins zehnte Jahrhundert, umspannt also die Spätantike und das Frühmittelalter. „Die Sachsen – Piraten, Heiden, Kaiser“: Der Titel lässt anklingen, welchen Aufstieg die Sachsen genommen haben. Die Römer bezeichneten sie als Piratenvolk, das ihre Siedlungen mit Booten überfiel. Für Karl den Großen waren sie vor allem Heiden, die er um 800 brutal mit dem Schwert missionierte. Dann aber gelang den Sachsen das Erstaunliche: 160 Jahre später sitzt einer von ihnen, Otto der Große (* 912, † 973), auf dem Kaiserthron.
Geschichte in großen Teilen ungewiss
Schriftliche Überlieferungen haben die Sachsen, deren Name sich wahrscheinlich von ihrem Hiebmesser, der Sax, ableitet, kaum hinterlassen. Deshalb bleibt ihre Geschichte in großen Teilen ungewiss.
Die 90-Minuten-Dokumentation beginnt im vierten Jahrhundert am ursprünglichen Lebensraum, der Nordseeküste. Gleich zu Beginn machen die Filmemacher Bettina Wobst und Volker Schmidt-Sondermann es spannend – besuchen den Fundort eines 1863 entdeckten, 23 Meter langen Eichenschiffes im dänischen Nydam-Moor. Mit diesem hochseetüchtigen Ruderboot für etwa 45 Krieger aus der Zeit um 320 eroberten die Sachsen England. Auf der Museumsinsel Schloss Gottorf in Schleswig ausgestellt, erzählt das Nydamboot auch von erstaunlicher und wegweisender Schiffsbau-Kunst.

Die Erdgeschosshalle des karolingischen Westwerks vermittelt noch heute Raumeindrücke wie zu Zeiten Widukinds, der die Sachsengeschichte aufgeschrieben hat. Foto: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht
Neues Bild der frühen Sachsen
Archäologen kommen am Fundort des Bootes und auch an Ausgrabungsstellen früherer Siedlungen der Sachsen zu Wort. Die Filmemacher begeben sich in Deutschland, Dänemark, England und Frankreich auf Spurensuche. Sie erkunden Friedhöfe an Britanniens Küste oder drehen in naturwissenschaftlichen Laboren. Neben Archäologen treffen sie auch Genforscher und Historiker, arbeiten aber außerdem auch mit Living-History-Darstellern zusammen. „Wir zeichnen ein ganz neues Bild der frühen Sachsen“, sagt das Team. Lebendig, bildgewaltig, spannend und lehrreich.
Der Weg der Spurensucher führt auch nach Corvey. Denn in der Benediktinerabtei am Weserbogen entstand das, was es ansonsten nicht oft über die Sachsen gibt: eine schriftliche Quelle. Widukind, Mönch in Corvey, hinterließ der Nachwelt 967/68 die drei Bücher umfassende Sachsengeschichte, die „Res gestae Saxonicae“.
Widukinds Sachsengeschichte Dreh- und Angelpunkt
Wohl im Jahre 941/42 war er in den Konvent der Abtei eingetreten. Wie alt er zu der Zeit war, ist nicht bekannt. Herkunft und Leben des Geschichtsschreibers liegen ebenfalls im Dunkeln. Es wird vermutet, dass er zum sächsischen Hochadel gehörte. Aufgrund des seltenen Namens wird er für einen Nachfahren des legendären Sachsenherzogs Widukinds gehalten, der von Karl dem Großen (reg. 768 – 814) bezwungen wurde und sich 785 in der Pfalz Attigny taufen ließ.
Das Werk des Geschichtsschreibers aus dem Kloster Corvey ist Dreh- und Angelpunkt der Filmdokumentation. Sie geht dabei auch der Frage nach, was in Widukinds Werk historisch verifizierbar und was Propaganda ist. Denn seine Sachsengeschichte ist Mathilde (* 955, † 999) gewidmet, der Tochter Ottos des Großen und Äbtissin von Quedlinburg. Daher reichen die Einschätzungen in der Fachwelt über Widukinds Qualitäten als Chronist vom „Spielmann in Kutte“, der Fakten und Fiktionen eigenwillig vermischte, bis hin zum „Kronzeugen“ für das Verständnis der ottonischen Frühgeschichte.
Chronik ist der Tochter Ottos des Großen gewidmet
Zur Einordnung der Überlieferungen Widukinds ziehen die Macher des Films einen international geschätzten Kenner des frühen Mittelalters zu Rate: Professor Dr. Gerd Althoff, Münster. Interviewt haben sie den Wissenschaftler am Entstehungsort der Sachsengeschichte: in Corvey. Widukinds Werk erzählt, so Professor Althoff, vor allem die Geschichte der Anfänge ottonischer Königsherrschaft. Es behandele also eine Zeit, die nicht ohne Grund als der Anfang der deutschen Geschichte verstanden wird. Für den Historiker ist Widukind „alles andere als ein substanzloser Ruhmprediger der Könige“. Der Historiker stuft den „Kronzeugen“ durchaus als vertrauenswürdig ein.
Der jungen Mathilde haben seine Aufzeichnungen sehr geholfen: Die Tochter Ottos des Großen war 966 mit elf Jahren zur Äbtissin in Quedlinburg gewählt worden. Nach dem fast gleichzeitigen Tod zweier enger Angehöriger im März 968 musste sie als einziges Mitglied des Herrscherhauses nördlich der Alpen den Vater, der in Italien nicht abkömmlich war, ersetzen. „Hierzu stellte das Werk Widukinds ein wertvolles Hilfsmittel bereit, weil es in seinen Erzählungen wie seinen Wertungen gerade auf die vielen Situationen hinwies, die in den Jahrzehnten zuvor Konflikte hervorgebracht hatten, die die Königsherrschaft ihres Vaters fast zum Scheitern verurteilten. Wer darüber nicht informiert war, lief große Gefahr, bei der Vertretung des Königs Schiffbruch zu erleiden“, erläutert Professor Althoff in einem Vortrag im Rahmen des Jubiläumsprogramms zum 1200-jährigen Bestehen Corveys.
Spielszenen mit Widukind und Mathilde
Widukinds Verständnis für Positionen der Gegner in Konflikten mit Otto dem Großen spricht gegen reine Propaganda. Geschichtsschreiber Widukind urteilt differenziert. Außerdem, so Professor Althoff im Vortrag in Corvey, übernimmt er in der Mathilde gewidmeten Chronik Passagen, die er vorher schon geschrieben hat und für die Zweitverwertung jetzt nicht umformuliert.
Seine Aufzeichnungen nimmt der Film als Aufhänger für intensive Nachforschungen darüber, wie es wirklich gewesen sein könnte. Daher lassen die Macher Widukind und Mathilde in Spielszenen immer wie

Zu den Schauplätzen der Sachsenkriege gehörten auch Orte im Kreis Höxter. 775 tobte eine Schlacht am Brunsberg. Die Franken gewannen sie und sicherten ihren Truppen mithin den Weserübergang. In einem monumentalen Historiengemälde, das Hieronymus Sies 1704 im Auftrag der Abtei Corvey schuf, sind diese Kämpfe in Szene gesetzt worden. Das große Gemälde befindet sich im Refektorium des Schlosses. Foto: Kulturkreis
der ins Gespräch kommen. Der Geschichtsschreiber unterbreitet der Kaisertochter seine Version der frühen Sachsen – sagt ihr aber auch ganz deutlich, dass die Faktenlage darüber eher im Dunkeln liegt.
Siedlungsspuren der frühen Sachsen gefunden
Erkenntnisse, die er niedergeschrieben hat, erweisen sich heute aber als zutreffend: So erwähnt Widukind den Ort Hadulaun, auch Hadeln genannt. Dieser liegt laut historischen Karten tatsächlich im Elbe-Weser-Dreieck an der Nordseeküste. In den letzten Jahrzehnten haben Archäologen hier außergewöhnliche Siedlungsspuren der frühen Sachsen gefunden, erfahren die Zuschauenden – und gehen im Film mit einer Archäologin zu Standorten frühsächsischer kleiner Dörfer auf einer Wurt (Hügel).
Immer wieder kehren die Filmemacher zu Widukind und Mathilde zurück – verbildlichen die Erläuterungen des Chronisten mit Szenen. So auch die Sachsenkriege Karls des Großen und die Taufe seines erbitterten Widersachers, des Sachsenherzogs Widukind.
Als der gewaltsamen Unterwerfung schließlich die Überzeugungsmission folgte, entstanden kirchliche Strukturen und Klöster wie Corvey. Im Film über die Sachsen ist die ehemalige Benediktinerabtei und heutige Welterbestätte Dreh- und Angelpunkt. „Die Sachsen – Piraten, Heiden, Kaiser“ (90 Min.) ist eine Produktion der Tellux-Film Dresden im Auftrag des MDR in Zusammenarbeit mit ARTE (Regie: Bettina Wobst und Volker Schmidt-Sondermann).