Ein Jahrtausend lang haben Mönche in der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey zur Nacht die Komplet gebetet. Diese Tradition lebt im Johanneschor, dem liturgischen Zentrum des Klosters, derzeit wieder auf. Die Besucherinnen und Besucher können das monastische Abendgebet in dem fast 1200 Jahre alten, hochbedeutenden Sakralraum im Westwerk neu entdecken. Das Projekt „Blue Church“ des Netzwerks Klosterlandschaft OWL eröffnet den Menschen diese Glaubensräume in Zusammenarbeit mit der Katholischen Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey. Gepaart mit Klangreisen in die Gegenwart lässt die Komplet den im Blau der Nacht illuminierten Johanneschor in seiner spirituellen Strahlkraft neu aufleuchten.
Das drei Abende umfassende Angebot hat nach einer erfolgreichen Premiere bei seiner zweiten Auflage am 22. Oktober noch mehr Gäste angezogen. Ideengeber Hans Hermann Jansen war erfreut über den großen Zuspruch. Gemeinsam mit seinen Mitwirkenden kombiniert er jahrhundertealte Gebetstraditionen mit Lichtinszenierungen und zeitgenössischen Klanginterpretationen. Dieses Konzept führt Kontinuität und Zeitgeist zu einer stimmigen Partnerschaft zusammen. Die Psalmen, der Hymnus, die Lesung und das Gebet der benediktinischen Komplet verschmelzen mit der Gegenwart und laden – was heute so wohltuend ist wie vor 1000 Jahren – dazu ein, den zurückliegenden Tag mit aller Mühsal in Gottes Hand zu legen.
Der entlastenden Wirkung dieses Loslassens gibt der Johanneschor in seiner imposanten Höhe Raum. Die gesprochenen und gesungenen Psalmen – der heilige Benedikt von Nursia hat in seiner Ordensregel genau festgelegt, welche Psalmen zum Abschluss des Tages zu beten sind – bestärken die Menschen in ihrem Gottvertrauen oder lassen sie dieses Gefühl des Behütetseins neu entdecken.
Gottvertrauen ermutigt Mönche
Dieses tiefe Vertrauen hat den Mönchen aus dem westfranzösischen Corbie vor fast 1200 Jahren den Mut verliehen, in der Einöde des Sachsenlandes einen Stützpunkt für ihren Glauben zu begründen – und das Wort Gottes von der Weser aus in die Welt zu tragen. Unerschütterlich in ihrer Hoffnung und im Vertrauen auf Gott erschufen sie an ihrer Basis, dem Weserkloster, mit dem Westwerk ein Bauwerk, das auch nach dem Ende des benediktinischen Lebens in Corvey nichts an seiner Wirkmächtigkeit eingebüßt hat. Denn das, wofür es Zeugnis ablegt, der Glaube, lebt an diesem 2014 zum Welterbe geadelten Erinnerungsort in seiner beständigen Impulskraft fort. Dafür sorgt eine der kleinsten Kirchengemeinden Deutschlands. Sie verantwortet diesen großen Erinnerungsort und meistert immer wieder die Herausforderung, ihn trotz seiner Weltgeltung wie jede andere Kirche mit Gemeindeleben zu erfüllen.
Räume der Nacht
Zusammen mit dem Netzwerk Klosterlandschaft OWL als Kooperationspartner setzt die Gemeinde mit besonderen Programmpunkten wie den regelmäßigen Vespern in der barocken Abteikirche oder jetzt der „Blue Church“ besondere Akzente in Corvey. Zur Komplet öffneten sich im Johanneschor die Räume der Nacht. Mitwirkende der Premiere im September waren die Schola, die seit mehr als 20 Jahren das gregorianische Repertoire des Mittelalters zur Entfaltung bringt, Kara Pohlmann mit dem modernen Lied „Mögen Engel dich begleiten“ und der Jazzpianist Georg Rox. Seine Interpretation des Psalms 134 und das Nachspiel zum Schluss ließen die Spiritualität dieses Sakralraums aufleuchten.
Das war auch am zweiten Abend der Fall, als der Saxophonist Piotr Techmanski die Gäste mit seinen Jazz-Improvisationen erleben ließ, wie viel Gebet bei diesem Psalm auch ohne Worte zu hören ist. Kara Pohlmann und die Schola gestalteten die Komplet wieder mit. Die Gäste stimmten an beiden Abenden mit ein in den Hymnus „Den Tag leg ich in Deine Hand“. Zur dritten und letzten „Blue Church“ am Freitag, 26. November, 20 Uhr, hat Hans Hermann Jansen Teilnehmende des XXV. Gregorianik-Kurses unter der Leitung von Pater Gottfried Meier OSB, eingeladen.
Einstimmung auf Jubiläum
Die besondere Komplet-Erfahrung im Johanneschor stimmt auch auf ein besonderes Jubiläum ein: Die Gründung der Benediktinerabtei Corvey liegt 2022 genau 1200 Jahre zurück. Mit der multimedialen Erschließung des karolingischen Westwerks und einer hochkarätigen Ausstellung können die Menschen das Jahrtausend der Mönche neu entdecken – so wie sie es jetzt, in der „Blue Church“, mit der Tradition des benediktinischen Stundengebets tun.