Beständigkeit gibt Halt – vor allem in unruhiger Zeit. In diesem Sinne haben mehrere hundert Besucher das seit 1185 Jahren währende Kontinuum der Vitusverehrung in Corvey als wohltuende Konstante empfunden. Erfreut darüber, dass Veranstaltungen wie die Feierlichkeiten wieder möglich sind, schaute der Hauptzelebrant und Festprediger des Pontifikalamts, Bischof Franz-Josef Bode aus Osnabrück, bei strahlendem Sonnenschein auf das versammelte Gottesvolk des Corveyer Landes. Die zuversichtliche Grundstimmung dieses Sommertages unterstrich der hohe Gast mit ermutigenden Worten und einem engagierten Plädoyer für ein beherztes, tatkräftiges und erneuerndes Mitgestalten der Kirche.
Dass sich die Kirche, wie Kardinal Reinhard Marx es bei seinem Rücktrittsersuchen konstatiert hatte, an einem gewissen toten Punkt befinde, sei kein Grund zur Resignation, signalisierte Bischof Bode. Es müsse gelten, durch aktives Hinausgehen in die Welt diesen toten Punkt zu überwinden. Nach dem Wirbelsturm der Skandale, durch den die Kirche an ihr Ende gekommen zu sein scheine, gelte es aufzustehen. Denn draußen warte das Leben. „Wir haben eine Verantwortung für die Zeit nach dem Sturm, in dem sich die Kirche befindet.“ Vielleicht habe Papst Franziskus genau das sagen wollen, als er Kardinal Reinhard Marx nach dessen Rücktrittsangebot die eindrückliche Antwort gab: „Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“
Toten Punkt überwinden
Den „toten Punkt” zu überwinden – dafür gibt es, so der Gast aus Osnabrück, allen Grund: „Es ist immer noch eine tiefe Sehnsucht nach echter Seelsorge und echter Bildung da.” Die kirchlichen Schulen hätten nicht weniger Anmeldungen als früher, die Kindergärten hätten Wartelisten, und die caritativen Einrichtungen der Kirche seien in ihrer Zuwendung nicht verzichtbar. „Lebenshilfe, Lebensbegleitung, Lebensdeutung: Das alles wird weiterhin von der Kirche erwartet.“
In dieser großen gemeinschaftlichen Aufgabe richtete Bischof Bode den Blick auf mutige Glaubenszeugen wie den jungen Märtyrer Vitus. Er habe für das, was er erleiden musste, durch die Verankerung nach oben, zu Gott, die Kraft erhalten. Der heilige Ansgar, Apostel des Nordens, habe mit der Kraft von oben die Geschichte Europas mitgestaltet. Der Benediktinermönch war von Corvey aus zu seinen so erfolgreichen Missionsreisen ausgezogen.
Ansgars Basis – die Benediktinerabtei im Weserbogen bei Höxter – sei angesichts ihrer Wirkungsgeschichte für ganz Europa zu Recht Weltkulturerbe und ein Ort des Weltglaubens und des Welthoffnungserbes. So wie das Westwerk die Stürme Weltgeschichte überstanden habe, sei auch die an diesem Glaubensort von 1185 Jahren begonnene Vitus-Verehrung ein hoffnungsvolles Zeichen in stürmischer Zeit.
Um einen heftigen Sturm dreht sich auch das Evangelium, auf das sich das Leitwort der Festpredigt, „Warum habt Ihr solche Angst?”, bezog. Jesus ist mit seinen Jüngern auf See. Im gemeinsamen Boot liegt er hinten auf einem Kissen und schläft, während die Jünger um ihr Leben bangen. Als sie ihn wecken, bezwingt er den Sturm und fragt sie schließlich, warum sie solche Angst haben. „Habt Ihr noch keinen Glauben?“
Stille der Gelassenheit
Jesus war im Sturm bei seinen Jüngern, erläuterte Bischof Bode. Weil er oben, bei Gott, verankert sei, habe er gelassen und ruhig bleiben können – um dann im entscheidenden Moment aus dieser Ruhe heraus aufzustehen. In dieser inneren Balance stehe Christus uns auch jetzt bei – in den Wirbelstürmen des Lebens und nicht zuletzt in den Wirbelstürmen der Kirche. „Jesus geht nicht weg aus dieser Welt. Er ist derjenige, der uns im Auge des Orkans die Stille schenkt – die Stille der Gelassenheit und der inneren und äußeren Balance.“
Aus diesem kraftschöpfenden Gleichgewicht und der Verankerung nach oben heraus hätten die Mönche der Benediktinerabtei Corvey das wirkmächtige Westwerk gebaut, richtete Bischof Bode den Blick auf die Welterbestätte. In dieser Glaubensfestung hätten sie sich dann aber nicht verschanzt, sondern seien – ebenfalls mit der Kraft von oben – mutig hinausgegangen in die Welt.
Für diese Entschlossenheit und das tiefe Gottvertrauen ihrer Erbauer legt die Doppelturmfassade des Westwerks bis heute eindrucksvoll Zeugnis ab. Das Vitus-Fest bei strahlendem Sonnenschein und erfrischendem Wind ließ die große Impulskraft dieser Spiritualität aufblitzen.
Die Fotos in der Galerie vermitteln einen Eindruck von den Vitus-Feierlichkeiten im weitläufigen Schlosspark.