Die Welterbestätte Corvey im Weserbogen bei Höxter stellt sich von der Saison 2023 an publikumswirksam und zeitgemäß neu auf. Ohne jeglichen Eingriff in die sensible, fragmentarisch erhaltene karolingische Substanz bringen Wissenschaftler mit Hilfe moderner Technologien Steine zum Sprechen. Wie – davon machte sich Landrat Michael Stickeln im Rahmen seiner „KulturTour“ vor Ort im Westwerk ein Bild.
Gemeinsam mit der stellvertretenden Bürgermeisterin Höxters, Andrea Dangela, und GfW-Geschäftsführer Michael Stolte stattete der Landrat der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus einen Besuch ab. Die 150-Seelen-Gemeinde gehört zu den kleinsten in Deutschland und verantwortet ein Kulturdenkmal mit Weltgeltung. Sie hat sich das hochambitionierte Ziel gesteckt, dieses strahlkräftige Juwel in seiner Singularität, aber auch in seiner Kultur- und bis heute lebendigen Glaubensgeschichte erlebbar zu machen.
Die Gäste werden nachvollziehen können, was die Mönche aus dem westfränkischen Corbie bewegt hat, als sie vor 1200 Jahren auszogen, um in der Einöde des Sachsenlandes ein Kloster zu gründen. Es war die Heilsbotschaft Christi, deren große Hoffnung und deren Gebote für ein friedfertiges Miteinander in gegenseitiger Achtung die Ordensmänner verbreiten wollten und an ihrem neuen Klosterstandort baukünstlerisch eindrücklich in Szene setzten.
Das 873 bis 885 entstandene Westwerk – seit 2014 gemeinsam mit dem als Bodendenkmal erhaltenen mittelalterlichen Klosterbezirk, der Civitas, Weltkulturerbe – kündet bis heute von diesem großen Kulturtransfer. Allerdings sind die so hochbedeutenden Wandmalereien und auch die Vorzeichnungen karolingischer Stuckplastiken im Johanneschor fragmentarisch erhalten. Ohne Erläuterungen erschließt sich die Bedeutung dieser Zeitzeugnisse nicht.
Das soll sich ändern, berichteten Professor Dr. Christoph Stiegemann, Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde, und der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Josef Kowalski. Unter Stiegemanns Ägide erblüht der Johanneschor mit Hilfe der Augmented Reality in seiner farbigen Originalausstattung neu. Die Gäste können vor Ort mit Tablets in der Hand erleben, wie der erhabene Sakralraum einst ausgestaltet war – und wie die sechs lebensgroßen Stuckfiguren, die von den Kämpferzonen aus in das Quadrum schauten, ausgesehen haben. Grundlage sind Stuckfragmente, die die bedeutende Corvey-Forscherin Professor Hilde Claussen gefunden und den Figuren zugeordnet hat, sowie Rekonstruktionszeichnungen von Professor Stiegemann und Scans der Stuckreste.
Diese virtuelle Renaissance bringt den einstigen Leuchtturm der Christenheit ebenso neu zum Strahlen wie die filmische Zeitreise in Corveys Klostergeschichte, die im Erdgeschoss auf der als Projektionsfläche nutzbaren Glastrennwand zwischen Westwerk und Abteikirche zu erleben sein soll. Und auch die Dauerausstellung in den Räumen des Schlosses, die unter der Regie der Kirchengemeinde und mit großzügiger LEADER-Förderung neu konzeptioniert wird, bringt Zeitzeugnisse zum Sprechen. Kurzum: Publikumswirksam und der Würde des Ortes entsprechend präsentiert sich Corvey vom kommenden Jahr an neu. Dabei erschließt sich auch die Seele dieses Leuchtturms. Das ist Josef Kowalski ein Grundanliegen, betonte er beim Besuch des Landrats.
„Leuchtturm unseres Kulturlandes”
Michael Stickeln war beeindruckt. „Corvey ist unbestritten der kulturelle Leuchtturm unseres Kulturlandes, der weit über unsere Kreis- und Landesgrenzen strahlt“, zeigte er für das Welterbe an der Weser Flagge. „Ich bin immer wieder begeistert von der Aura, die diesen Ort umgibt – und natürlich von der ausgezeichneten Arbeit, die viele Menschen hier leisten.“ Die multimedialen Installationen „werden Corvey noch viel intensiver und zeitgemäßer erleb- und erfahrbar machen“, ist der Landrat überzeugt.
Vize-Bürgermeisterin Andrea Dangela hob ebenfalls hervor, dass die Erschließung des Westwerks das große Potenzial Corveys sichtbar macht. Die Christdemokratin wirbt offensiv dafür, dass die heimischen Schulen dieses lehrreiche Kulturdenkmal vor der eigenen Haustür stärker nutzen. Corvey-Besuche müssten in den Schulen auf der Agenda stehen.
Jörg Kraemer lässt Orgel erklingen
Am 25. September nun jährt sich der Tag, an dem das klösterliche Leben an der Weser begann, zum 1200. Mal. Ein Jahr vor diesem Jubiläum ist die bedeutende Barockorgel frisch restauriert an ihren exponierten Platz in der Abteikirche zurückgekehrt. Dekanatskirchenmusiker Jörg Kraemer gab beim Besuch des Landrats eine Kostprobe ihrer Klangfülle.