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Hightech hilft Historie

By 13. Juli 2021No Comments

Langzeit-Monitoring mit innovativem 3D-Verfahren dokumentiert Zustand der karolingischen Wandmalereien

Das wissenschaftliche Kompetenzteam zur Erschließung des Westwerks möchte die fragmentarisch erhaltenen karolingischen Wandmalereien im Rahmen eines Langzeit-Monitorings im Auge behalten. Fachleute setzen für diese Dokumentation ein innovatives Verfahren ein – Vermessung inklusive, aber ohne Papier und Zollstock. So wird die Welterbestätte zu einem Ort des Fortschritts. Diese Progressivität wiederum trägt zum Erhalt der kostbaren, fast 1200 Jahren alten Substanz bei. Insofern passt zu diesem Monitoring-Projekt eine griffige Devise: Hightech hilft Historie.

Philipp Matschoss bei seiner Arbeit im Johanneschor. Die Odysseus-Szene gehört zu den Flächen des Langzeitmonitorings.                          Foto: Sabine Robrecht

Screenshot aus den Laserscan-Daten, noch ohne Fotodaten der Photogrammetrie. Die Laserscans dienen der räumlichen Maßstabs-Zuordnung.

Die Kamera steht auf einem Stativ. Das Objektiv ist auf ein Detail der Odysseus-Szene im Johanneschor ausgerichtet. Die kleine Fläche ist hell ausgeleuchtet. Philipp Matschoss schaut auf den Monitor und nimmt Einstellungen vor, bevor er auf den Auslöser drückt. Dann bringt er die Kamera für die nächste kleine Fläche in Position.

Bildgebendes Verfahren samt Vermessung

Was auf den ersten Blick nach einer Foto-Dokumentation aussieht, ist tatsächlich ein bildgebendes Verfahren samt Vermessung. Philipp Matschoss nimmt für dieses Mikro-Monitoring der wertvollen Wandmalereien ein so genanntes Orthofoto – ein perspektivisch verzerrungsfreies Gesamtbild mit Maßstab und Farbkalibrierung – auf. Dieses sieht aus wie ein Foto, ist aber, wenngleich bildpixelbasiert, „vergleichbar mit einer technischen Zeichnung“, erläutert der Fachmann.

Berührungsfrei und präzise

Das Orthofoto wird aus den Einzelbilddaten der vielen Details, die er aufnimmt, zusammengerechnet. „Auf einer Fläche von zehn mal zehn Zentimetern arbeite ich jeweils mit einer 20- bis 30-fachen Vergrößerung“, erläutert Philipp Matschoss. Die bei dieser berührungsfreien präzisen Hightech-Vermessung erzielte Detailschärfe macht es möglich, in einer Struktur ein einzelnes Pigmentkörnchen zu erkennen – um dann bei einer erneuten Aufnahme nach einigen Monaten nachzuschauen, „ob dieses Körnchen sich eventuell gelöst hat“, sagt der 3D-Artist, der bei der Fachwerkstatt Drücker GmbH mit Sitz in Rietberg beschäftigt ist.

Blick auf das Westwerk und die barocke Anlage, aufgenommen von Philipp Matschoss.

Auch dieser Blick, ebenfalls von Philipp Matschoss im Rahmen des Fassadenscans aufgenommen, beeindruckt.

Dieser Spezialbetrieb bietet gewerkeübergreifende Fachwerkrestaurierungen an und hat sein Angebots-Portfolio jetzt durch moderne 3D-Aufmaß-Systeme ergänzt. „In Corvey zu arbeiten, ist etwas Besonderes“, schwärmt Mitarbeiter Philipp Matschoss beim Blick auf die Odysseus-Szene, die zu den großartigen Alleinstellungsmerkmalen der Welterbestätte gehört.

Der Experte nimmt aber nicht nur dieses Wandfries mit seinem figürlichen Bildprogramm, sondern auch andere karolingische Malereien etwa an der Südwand der Erdgeschosshalle des Westwerks unter die Lupe. „Wir haben die Flächen für das Monitoring mit der LWL-Denkmalpflege abgestimmt“, erläutert Karen Keller, die die restauratorische Fachbauleitung in Corvey innehat.

Digitale Konservierung

Ziel ist es, anhand wiederholter Aufnahmen in einer Langzeitstudie festzustellen, ob z.B. Feuchtigkeit oder Salzbildung die Strukturen verändern. „Wir können die Bilder übereinanderlegen und im Vergleich mit dem Original sehen, ob tatsächlich Pigmentkörnchen entweichen“, erläutert Karen Keller. Das mit 3D-Oberflächenscans abgerundete Monitoring hat auch den Nebeneffekt der digitalen Konservierung.

Die Wasserspeier befinden sich in an der Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks in 16,50 Metern Höhe.            Aufnahmen: Philipp Matschoss

Ausschnitt der aktuellen Berechnungen der Fassade, die als 3D- Modell (3D Mesh) gerechnet und mit den Laserscan-Punktwolkedaten vereint wird.

Das Gesicht der Welterbestätte, die Doppelturmfassade des karolingischen Westwerks, hat beim Arbeitseinsatz von Philipp Matschoss ebenfalls Modell gestanden: Mit der Fotodrohne ausgerüstet, erstellte er ein hochauflösendes 3D-Messbild. „Aus 2500 Einzelbildern wird ein Gesamtbild gerechnet.“

Auf Grundlage dieser Darstellungen lassen sich am Rechner Risse in Fugen ausmessen oder auch Verluste von Fugenmörtel exakt ablesen. „Diese virtuelle Art der Schadenskartierung ist schon sehr ausgereift“, so Philipp Matschoss. Möglich sei auch, ein 3D-Modell zu erstellen. „Dieses ist der ‚digitale Zwilling‘ eines Objekts, das sich dann auch virtuell erkunden lässt.“

Diese Panoramaaufnahme von Philipp Matschoss hat ebenso wie das Beitragsbild einen besonderen Reiz. Wir danken Philipp Matschoss und der Fachwerkstatt Drücker GmbH herzlich dafür, dass wir diese spannenden Aufnahmen verwenden dürfen.