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„Es ist ein Traum, den wir verwirklichen“

„Zwei Register noch, dann sind wir fertig“, kündigen Dick Koomans und Jan Spijker strahlend an, als wir an einem sonnigen Tag Ende April auf der Orgelempore der ehemaligen Abteikirche vorbeischauen. Die beiden Fachleute der Firma Flentrop aus Holland intonieren die frisch restaurierte Springladenorgel.

Wie schon zu Beginn ihrer Arbeit im November 2020 vermitteln sie uns auch jetzt – im Endspurt – einen Eindruck davon, wie ergreifend die vielstimmigen Klangfarben dieses kostbaren historischen Instruments den barocken Kirchenraum bald wieder erfüllen werden. Auf unserer Facebook-Seite zeigen wir einen Film.

Aus den Orgelchorälen von Johann Gottfried Walther bringt Jan Spijker gegen Ende der Intonationsarbeiten für uns eine Kostprobe zu Gehör. Er und sein Kollege Dick Koomans haben sehr viel Freude an der bedeutenden Corveyer Springladenorgel. Fotos: Sabine Robrecht

„Diese Orgel ist etwas sehr Besonderes“, konstatieren die erfahrenen und leidenschaftlichen Intonateure mit Blick auf die auch nach der Restaurierung erhaltene Mitteltonstimmung. „Diese Stimmung ist sehr speziell“, schwärmen die Experten. Eine Orgel ist für sie „fast wie ein lebendiger Körper“. Der Vergleich weckt Assoziationen zum biblischen Motiv vom Leib mit vielen Gliedern. Dieser umfasst bei der Corveyer Orgel mehr als 2000 Pfeifen.

Sie alle galt es nach dem technischen Einbau zu intonieren. Dazu sind nicht nur ein feines Gehör und handwerkliches Geschick vonnöten, sondern auch körperliche Fitness und Muskelkraft. Denn die Resonanzbecher der Pfeifen, die es bei den Tonproben immer wieder anzuheben und wieder draufzusetzen gilt, können wie beim tiefsten Ton in Corvey bis zu 16 Fuß (etwa vier Meter) lang und etwa 60 Kilogramm schwer sein. Um sie anzuheben, muss einer der beiden Intonateure das Gerüst hinaufsteigen. „Das ersetzt den Besuch im Fitnessstudio. Wir waren froh, als die großen Pedalpfeifen fertig waren“, erzählen die beiden Intonateure, die von Haarlem in den Niederlanden bis Sao Paulo in Brasilien kostbare Kirchenorgeln einbauen und das Corveyer Instrument als eines ihrer besonderen einordnen.

„Der Resonanzbecher ist ein natürlicher Verstärker“, erläutert Dick Koomans. „Die Länge und die Mensur sind wichtig für den Klang.“ Wenn diese Maße gut berechnet sind, „ist das aber keine Klang-Garantie, sondern nur ein Ausgangspunkt”. Die Intonateure sind es, die dem „Organismus Orgel“ Leben einhauchen, indem sie am Klang jeder einzelnen Pfeife feilen und das vielstimmige Klangspektrum so aufeinander abstimmen, dass es harmoniert, aber nicht eintönig wirkt. „Es ist ein Traum, den wir verwirklichen“, strahlen Dick Koomans und Jan Spijker. Beteiligt daran seien aber nicht nur sie, wie sie betonen, sondern auch die Kollegen, die den technischen Einbau gemeistert haben. „Dieser Traum ist eine Mannschaftsleistung“, betonen die Intonateure.

Dick Koomans bei der Arbeit an den Zungenpfeifen der Corveyer Orgel.

Dann wenden sie sich wieder der Feinarbeit zu. Die Zungenpfeifen sind an der Reihe. Ohne den Resonanzbecher „erzeugen sie nur ein dünnes Geräusch ohne Klang“, sagt Jan Spijker – und demonstriert gemeinsam mit seinem Kollegen für uns den Unterschied. Bis der Klang jeder Pfeife passt, müssen die Intonateure manches Mal den Becher anheben, die Zunge herausnehmen und an ihr arbeiten, den Becher wieder aufsetzen und den Ton probehalber spielen. „Wir sind Perfekionisten.“ Am Ende eines Tages sind sie rechtschaffen müde und gleichzeitig von der Freude erfüllt, dass die kostbare Corveyer Orgel mit ihren 27 klingenden Registern den Kirchenraum erfüllen und die Herzen der Zuhörerinnen und Zuhörer bewegen wird.

Die Menschen im Corveyer Land sehnen das Wiedererklingen dieses bedeutenden Instruments herbei. Seit viereinhalb Jahren hat die Springladenorgel geschwiegen. Ende September 2016 erklang sie zum letzten Mal vor dem Abtransport in die Werkstatt der niederländischen Orgelbaufirma Flentrop. Die fach- und denkmalgerecht restaurierten Teile kehrten dann nach und nach an ihren exponierten Platz zurück. Im Sommer 2020 zogen die Orgelbälge spektakulär mit Hilfe eines Krans in den Dachraum über dem Kirchenschiff ein.

Dass die Restaurierung überhaupt möglich war, ist dem Förderverein „Chorus“ ganz wesentlich mitzuverdanken. Der Verein hat etwa 350.000 Euro Fördermittel akquiriert und den 300.000 Euro umfassenden Zuschuss der NRW-Stiftung eingeworben und beantragt. „Ich freue mich, dass die Orgel bald eingeweiht wird“, sagt Vorsitzender Heinz-Hermann Doninger. Termin ist am Samstag, 12. Juni, coronabedingt in kleinem Rahmen. Architekt Albert Henne teilt die Freude über den Abschluss dieses großen Projekts. „Der Orgelweihe am 12. Juni steht nichts mehr im Weg.“