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Erste Klangprobe weckt Vorfreude

By 28. November 2020Mai 18th, 2021No Comments

Wenn die bedeutende Springladenorgel der Abteikirche Corvey im nächsten Jahr nach umfassender Restaurierung wieder erklingt, dann wird den Menschen gleich nach den ersten Akkorden bewusst, was ihnen gefehlt hat. Diesen Eindruck hinterließ die allererste Klangprobe der beiden Intonateure Dick Koomans und Jan Spijker von der Firma Flentrop aus Holland. Sie sind dabei, die zurückgekehrten mehr als 2000 Pfeifen des historischen Instruments zu intonieren. „Das wird mehrere Monate dauern“, kündigen die beiden Fachleute an.

Die Orgelempore ohne Gerüst: Diesen Anblick werden die Menschen bald wieder genießen können. Sie freuen sich darüber, dass die Orgel in einigen Monaten wieder erklingen wird. Foto: Kalle Noltenhans

Ihren Arbeitsplatz, die Orgelempore der barocken Abteikirche, erreichen sie vom Johanneschor aus. „Vier Register sind fertig“, erzählt Dick Koomans an einem Nachmittag im November. Dann lässt der leidenschaftliche Intonateur das Instrument gemeinsam mit seinem Kollegen zum ersten Mal probehalber erklingen. Und ist begeistert: „Es macht uns froh“, strahlt er. Diese Freude weckt eine beflügelnde Ungeduld: „Wir können es fast nicht erwarten, bis die Intonation abgeschlossen ist.“ Die ersten Klänge „sind eine tolle Motivation“. Architekt Albert Henne, der die restauratorischen Arbeiten in Westwerk und Abteikirche im Auftrag der Kirchengemeinde betreut, teilt die Freude: „Darauf haben wir lange gewartet.“

Dick Koomans und Jan Spijker (rechts) waren nach der ersten Klangprobe begeistert. Die restaurierte Springladenorgel wird in den nächsten Monaten intoniert.

Merkmal einer guten Orgel sei, so Dick Koomans und Jan Spijker direkt nach der Klangprobe, dass man sich nach den ersten zehn Sekunden nicht gleich langweilt, wenn man nur ein Register spielt. Corveys Barockorgel loben die beiden Fachleute in diesem Zusammenhang in den höchsten Tönen: „So ein wunderbares Prinzipal wie hier ist selten. Es klingt so schön, dass ich eine ganze Stunde lang spielen könnte und immer noch begeistert wäre“, schwärmt Dick Koomans.  Das Bemerkenswerte sei die auch nach der Restaurierung erhaltene Mitteltonstimmung: „Eine große Orgel in mitteltöniger Stimmung ist sehr besonders.“ Das ehrwürdige Instrument auf der von großen Engeln getragenen Empore klinge wie 1681. Damals hat der Höxteraner Orgelbaumeister Andreas Schneider es erbaut. Dick Koomans: „Diese Orgel ist wie eine Zeitkapsel. Man hört die Klänge von damals.“

Einen sehr guten ersten Eindruck hat die Orgel auch bei einer Klangprobe mit Erik Winkel, Chef der Firma Flentrop, Jörg Kraemer, Orgelbeauftragter des Erzbistums Paderborn, und Christian Steinmeier, Orgelsachverständiger des LWL, gemacht. Dabei überzeugte die Orgelsachverständigen der warme, singende, den Raum in perfekter Balance einhüllende weiche und tragfähige Klang der zu neuem Leben erweckten alten Pfeifen.

Ihre Renaissance entfaltet sich in den nächsten Monaten nach und nach. Zuerst werden die großen und dann die kleinen Bleipfeifen intoniert. Die ganz hohen kleinen Pfeifen, die den Wohlklang dieser bedeutenden Barockorgel mit ihrer Brillanz abrunden, sind zum Schluss an der Reihe, erläutern die Fachleute. Sie bauen von Haarlem in den Niederlanden bis Sao Paulo in Brasilien kostbare Kirchenorgeln ein und ordnen das Corveyer Instrument als eines ihrer besonderen ein. Strahlend vor Begeisterung zeigt und erläutert Jan Spijker auf der Rückseite der Empore die Funktionsweise der seltenen Springladentechnik. Nur noch sieben in dieser aufwändigen Technik gebaute Orgeln sind weltweit im Einsatz. Eine von ihnen ist das Juwel in der Abteikirche Corvey.

Die Pfeifen der Corveyer Barockorgel sind an ihren angestammten Platz zurückgekehrt.

Die Springladentechnik ist eine Besonderheit der Orgel der Abteikirche Corvey.

Wenn dieses zu den wichtigsten historischen Orgeln zählende Instrument mit seinen 27 klingenden Registern 2021 eingeweiht wird, hat es fünf Jahre geschwiegen. Ende September 2016 erklang das letzte Konzert vor dem Abtransport in die Werkstatt der niederländischen Orgelbaufirma Flentrop. Die fach- und denkmalgerecht restaurierten Teile kehrten jetzt nach und nach an ihren exponierten Platz zurück. Im Sommer zogen die Orgelbälge spektakulär mit Hilfe eines Krans in den Dachraum über dem Kirchenschiff ein.

Dass die Restaurierung überhaupt möglich war, ist dem Förderverein „Chorus“ ganz wesentlich mitzuverdanken. Vorsitzender Heinz-Hermann Doninger hat sich angesichts der erfolgreichen ersten Klangprobe an Mitglieder der ersten Stunde wie den 2012 verstorbenen ehemaligen Landrat Hubertus Backhaus erinnert. Er war der Gründungsvorsitzende des Vereins zur Rettung der Barockorgel. Der Verein hat etwa 350.000 Euro Fördermittel akquiriert und den 300.000 Euro umfassenden Zuschuss der NRW-Stiftung eingeworben und beantragt. „Ich freue mich, dass die Orgel im nächsten Jahr eingeweiht wird“, sagt Heinz-Hermann Doninger. „Was lange währt, wird endlich gut. Die Arbeit hat sich gelohnt“, bilanziert er im Rückblick auf Initiativen wie Benefizkonzerte, CD-Verkäufe und den Verkauf von Orgelpfeifen.

Engel tragen die noch eingerüstete Orgelempore. Fotos: Sabine Robrecht

Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus würdigt das großartige Engagement von Heinz-Hermann Doninger und seinen Mitstreitern: „Ohne den Förderverein wäre dieses herausragende Projekt nicht zu stemmen gewesen“, betonen Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek und der Baubeauftragte der Kirchengemeinde Corvey, Franz-Josef Beine.

Die Kosten für die Orgelrestaurierung belaufen sich auf etwa 968.000,00 Euro. In das Projekt fließen 137.453 Euro Bundeszuschuss für die Rekonstruktion und Restaurierung der Windladen, 300.000 Euro Zuschuss von der NRW-Stiftung und rund 350.000 Euro vom Förderverein »Chorus«. Die verbleibenden Finanzierungsmittel werden innerkirchlich (Erzbistum und Kirchengemeinde) finanziert.