Auf dem Luftweg sind die schweren, aber fragilen Elemente in die Abteikirche Corvey eingezogen. Und auch der Einbau war für die erfahrenen Fachhandwerker eine Herausforderung. Die gemeinsame Kraftanstrengung ist aber von Erfolg gekrönt. Die Glaswand zwischen dem karolingischen Westwerk und dem barocken Kirchenschiff steht. Und sie ist – für die Verantwortlichen des Einbaus und auch für die Gäste der Welterbestätte – ein Weihnachtsgeschenk. Denn pünktlich zum Fest hat die hölzerne Staubschutzwand ausgedient.
Diese hatte während der vorbereitenden Arbeiten und des Einbaus jetzt im Dezember monatelang die Sichtbeziehung hin zur prachtvollen Barockausstattung der Kirche versperrt. Diese Zeit ist nun vorbei. Westwerk und Kirche bleiben zwar getrennt. Die Glaswand ist aber „durchschaubar“. Sie fällt überhaupt nicht auf, so dezent ist sie eingepasst in die Bögen des Gewölbes – so transparent lassen die riesigen Scheiben durch sich hindurchschauen.
Die Gäste behalten also den Durchblick. Das tun sie nur dann nicht, wenn die Wand ihren zweiten Zweck erfüllt. Denn sie soll neben der Trennung des Sakralraums vom touristischen Betrieb auch als Projektionsfläche für eine filmische Zeitreise in das Jahrtausend der Mönche in Corvey genutzt werden. „Die Glaswand lässt sich für die Großprojektion zu 95 Prozent blickdicht schalten“, berichten Professor Dr. Christoph Stiegemann, Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde zur didaktischen Erschließung des Westwerks, und Annika Pröbe, Standortleitung des Erzbistums für Westwerk und Abteikirche.
Großer Schritt ist getan
Der Film erschließt den Gästen demnächst auf anschauliche Weise die mittelalterliche Geschichte des Weltkulturerbes und stimmt sie ein in das Erlebnis Johanneschor. Der erhabene Sakralraum im Obergeschoss präsentiert sich von der Saison 2023 an mithilfe einer vom Fraunhofer-Institut auf Grundlage aufschlussreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelten App in seiner ursprünglichen künstlerischen Ausgestaltung. Für diese virtuelle Zeitreise, die nur vor Ort im Johanneschor möglich sein wird, bekommen die Gäste Tablets in die Hand.
Im Erdgeschoss nun ist mit dem Einbau der Glaswand ein großer Schritt getan. Die große Doppeltür zum Mittelgang der Kirche schließt sich nur dann, wenn Besuchergruppen zu Gottesdienst- oder Gebetszeiten da sind oder wenn der Acht-Minuten-Film zur monastischen Geschichte der 822 gegründeten Weserabtei präsentiert wird.
Für Architekt Albert Henne, der Kirche und Westwerk seit 2004 betreut, war die Glaswand eines der spektakulärsten Bauprojekte. Als die Elemente am Haken eines Autokrans vom Domänenhof aus über die Mauer hinweg vor die Kirche schwebten, sah er gebannt zu. Das Schneetreiben macht diesen denkwürdigen Morgen noch unvergesslicher. Nach den Bälgen für die frisch restaurierte Orgel, die im Sommer 2020 auf dem Luftweg ins Kirchendach eingezogen waren, sind die Glaselemente für die Trennwand die zweite „Luftpost“ ins Welterbe.
Besondere Baustelle
An ihrem Bestimmungsort ruht die fragile Fracht nun auf sicherem Fundament. Ein Stahlschwert oberhalb der Kapitelle stabilisiert die Wand zusätzlich. Die Mitteltüren werden über einen Motor geöffnet. Die Fachhandwerker der Firma „Glas Fischer“ aus Isernhagen bei Hannover waren beeindruckt von ihrem Einsatzort an der Weser. „Natürlich arbeiten wir auch in Kirchen. Diese Baustelle ist aber eine besondere“, sagten Robert Dolz und Marco Cronshagen. Alles andere als alltäglich also.
Besonders war dieses Projekt für alle Beteiligten. „Mehrere Jahre haben wir darauf hingearbeitet“, sagt Architekt Albert Henne erleichtert. Und auch Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek und Kirchenvorstand Josef Kowalski empfinden den Erfolg des Einbaus nach intensiven Vorleistungen auch im Sinne des Denkmalschutzes als Meilenstein und Weihnachtsgeschenk.
Beeindruckende Unauffälligkeit
„In einer beeindruckenden Unauffälligkeit trennt die Wand den Sakralraum ab und gewährt gleichzeitig einen freien Blick in die Kirche“, betont der Kirchenvorstand. Dass sie als Projektionsfläche genutzt werden könne, sei zusammen mit der multimedialen Erkundung des Johanneschores ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur zeitgemäßen Weiterentwicklung des Welterbes. „So kann Geschichte sichtbar werden“, sagt der Pfarrdechant. Nächster Schritt der Weiterentwicklung werde die barrierefreie Erschließung des Johanneschores sein.
Die Glastrennwand steht im Managementplan für das Weltkulturerbe. Die Kosten von 220.000 Euro für die Wand, 8000 Euro für die Fundamente, 20.000 Euro für den Sandsteinboden und 65.000 Euro für die Folie zur Blickdichtschaltung stammen zu 90 Prozent aus dem Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Einen Zehn-Prozent-Anteil trägt die Stadt.