Wenn Josef Kowalski in Corvey führt, bringt er den Menschen die Historie dieses besonderen Ortes mit Wissen, Begeisterung und einem schier unerschöpflichen Geschichtenschatz nahe. Als engagiertes Mitglied des Kirchenvorstands der Gemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey liegt ihm die barocke Abteikirche besonders am Herzen.

In seinem Blog-Beitrag schildert er die Entwicklung dieses faszinierenden Ortes. Neben der bebilderten Kurzform seines spannenden Artikels gibt es den Text zur Barockkirche hier in voller Länge zum Download.

Josef Kowalski

Josef Kowalski

 

Niedergang und Wiedergeburt

Man schrieb den 13. Januar 1646. Zwei Fratres, Pater Johann Anton von Kolin und Bruder Daniel Rudolph, trugen ein Vitus-Bild und einen Altar in den Johannischor des Westwerks, um dort Andacht zu halten aus Furcht vor einem plötzlichen Einsturz der 800 Jahre alten karolingischen Basilika. Altersschwäche und die Überfälle marodierender Truppen,  vor allem in den 1630er Jahren des Dreißigjährigen Krieges,

 

waren die Ursache dieser starken Zerstörungen. So befand der Inventarbericht vom 19. Oktober 1662 den Bauzustand der alten karolingischen Abteikirche als “totaliter ruinosa et ex parte destructa“, „als ganz und gar beschädigt und teilweise zerstört“. Es war nahezu der Tod und das Ende des Klosters.

Inzwischen aber hatte, nach dem Tode des alten Fürstabts Arnold von Waldois, der Fürstbischof von Münster Christoph Bernhard von Galen die Verantwortung für die Abtei übernommen. Dies war die Wende. Seinen Initiativen ist das Wiederaufleben der Benediktinerkoster in eine neue Blütezeit hinein zu verdanken. Dazu waren jedoch erhebliche Baumaßnahmen unabdingbar.

Zunächst erfolgte die Aufmessung und Dokumentation, dann im Jahre 1665 der Abriss der karolingischen Abteikirche. Zwei Jahre später begann nach der Ausgrabung der alten Fundamente der Neubau. Der durch die gotischen Maßwerkfenster lichtdurchflutete neue Kirchenbau im Stil der “Renaissance der Gotik im Barock“ entstand.

Der Innenausbau im Stil des Barock

Nach Fertigstellung des Kirchenbaus 1671 konnte die innere Ausgestaltung erfolgen. Johann Georg Rudolphi, der aus der nahegelegenen Stadt Brakel stammende Hofarchitekt und Hofmaler des Fürstbischofs von Paderborn, hatte dazu die Entwürfe geschaffen. Unter seiner Leitung arbeiteten der Zimmerer und Holzschnitzer Johann Sasse aus Attendorn, der Maler Anton Splithoven aus Beckum und die Bildhauerfamilie Papen aus Giershagen. Sie schufen in den Folgejahren das “Gesamtkunstwerk der neuen Abteikirche Corvey“.

Insbesondere der Hochaltar sollte durch die Pracht seiner Darstellung die Blicke, das Gefühl, den Geist und den Sinn aller Gläubigen auf sich ziehen. Er ist der Heiligen Dreifaltigkeit gewidmet. Die Statuen der Stifter über den Eingängen zur Sakristei, Karl der Große links und sein Sohn Ludwig der Fromme rechts, bezeugen die Gründung des Klosters Corvey Anfang des 9. Jahrhunderts. Zur Altarmitte hin stehen die Statuen der beiden Patrone der Abteikirche, die heiligen Märtyrer Stephanus und Vitus, deren Reliquien in Corvey besonders verehrt werden.

Neben dem raumbestimmenden Hochaltar ist das künstlerisch aufwendig gestaltete Chorgestühl Ausdruck der christlich-klösterlichen Tradition. Jeweils acht kleine Statuen befinden sich an den Chorgestühldorsalen (Rückwänden). Es sind dies die Heiligen Benedikt und Ansgar sowie die Gründeräbte Adalhard und Warin sowie bedeutende Mönche des Konvents, die in der Gründerzeit Bischöfe von Hamburg und Hildesheim wurden. Sie erinnern an die benediktinische Tradition sowie an die Leuchtturmfunktion Corveys für die Christianisierung Europas. Mehr als vierzig Mönche konnten sich im Chorgestühl zu den Stundengebeten versammeln, wo sie an den vier drehbaren Lese- und Notenpulten gemeinsam beteten und sangen.

Vor der Chorschranke rechts fällt die prunkvolle Kanzel ins Auge. Der Pinienzapfen als Spitze auf dem Kanzeldach ist Symbol der Auferstehung und der Unsterblichkeit. Zugleich ist er Hinweis auf die Pinie als Baum des Lebens im Christentum.

Das Weihemal des Märtyrers Vitus, das der Kanzel gegenüber steht, zeugt von der besonderen Bedeutung dieses Heiligen für die Benediktinerabtei Corvey. Zu seinen Ehren und zur Erinnerung an die “Translatio sancti Viti“, die Überführung seiner Gebeine aus dem Kloster St. Dionysius bei Paris (St. Denis) in das neue Benediktinerstift Corvey im Jahre 836, werden jedes Jahr im Juni eine feierliche Eucharistiefeier und die Vitus-Prozession gehalten.

Gegenüber den nach Osten ausgerichteten Altären bildet die Orgel den Abschluss des Kirchenraumes zum karolingischen Westwerk hin. Der Höxteraner Orgelbauer Andreas Schneider ist der Schöpfer dieser heute noch zu bewundernden besonderen Springladenorgel mit 32 Registern und mehr als 2000 Orgelpfeifen.

Vollendung der neuen Abteikirche

Von der Grundsteinlegung im November 1667 bis zur Fertigstellung der Orgel im Jahre 1683 waren mehr als fünfzehn Jahre vergangen. Die neue Abteikirche war nun vollendet. Sie ist wahrlich ein “Gesamtkunstwerk“ in barocker Formenvielfalt sowie in rot- und blaumarmorierendem Farbenreichtum.

Bereits während des Innenausbaus hatte der Prior Nikolaus von Zitzewitz (1673-1677) am Karsamstag, dem 24. März 1674, die Kirche geweiht. Die beiden Nebenaltäre weihte der Prior an Jubilate, 26. April 1676, den linken Seitenaltar zu Ehren der Heiligen Jungfrau Maria und den rechten Altar zu Ehren der heiligen Märtyrer Mercurius und Justinus.

Am 11. November 1683, am Martinstag, erfolgte nun durch den Fürstabt Christoph von Bellinghausen die feierliche Abschlussweihe der Kirche. So wie sie im 17. Jahrhundert gebaut und ausgestaltet wurde, können wir die Corveyer Kirche noch heute als Ausdruck des christlichen Glaubens bewundern.