Die Restaurierung der kostbaren Springladenorgel in der ehemaligen Abteikirche Corvey hat mit einem glanzvollen Eröffnungskonzert und dem Erscheinen einer 115 Seiten starken, höchst informativen und in Wort und Bild ansprechend gestalteten Festschrift einen würdigen Abschluss gefunden. Der niederländische Orgel-Virtuose Sietze de Vries entfaltete die Klangfülle des bedeutenden Barockinstruments so eindrücklich, dass die Gäste aus Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft hingerissen waren.
Das Juwel mit seinen 32 Registern, mehr als 2000 Pfeifen und der überaus imposanten Schauseite gehört europaweit zur ersten Liga der herausragenden Orgeln. Zu den Alleinstellungsmerkmalen zählt neben dem unverwechselbaren Prospekt und der Springladentechnik auch die mitteltönige Stimmung, die das 1683 geweihte Barockinstrument bei der Restaurierung wiederbekommen hat. „In ihrer Klangfülle öffnet sich ein Blick in den Himmel und ein Ausgreifen in die Unendlichkeit“, brachte Pfarrdechant Dr. Hans-Bernd Krismanek bei der Begrüßung der Gäste, unter ihnen Weihbischof Manfred Grothe und Alexandra Herzogin von Ratibor und Fürstin von Corvey, die spirituelle Kraft der Orgelmusik zum Ausdruck.
Mitteltönige Stimmung macht Orgel besonders
Bevor der weltweit gefragte und preisgekrönte Konzertorganist Sietze de Vries die Worte des Geistlichen in Musik übersetzte und die Orgel zum Lobe Gottes und zur Freude der Menschen erklingen ließ, stellte der prominente Ehrengast gemeinsam mit Erik Winkel, Direktor des mit der Restaurierung und Rekonstruktion betrauten Unternehmens Orgelbouw Flentrop aus Zaandam/Niederlande, die einzelnen Stimmen des von Andreas Schneider erschaffenen Instruments vor. Winkel erläuterte die Stimmen am Mikrofon, und Sietze de Vries demonstrierte sie hoch oben auf der von Engeln getragenen Empore. Die mitteltönige Stimmung, auf die sich die Orgelbauer und die Sachverständigen für das Corveyer Barockinstrument verständigt haben, sei zwar mit Einschränkungen verbunden, erläuterte Erik Winkel. Sie sei gut für alte Musik, nicht aber für Musik aus dem 19. Jahrhundert. „Die Mitteltonstimmung ist aber eine Besonderheit“, hob der Unternehmer hervor. Entstanden sei eine Orgel, die nah an Andreas Schneider herankomme und die das Herz der Menschen wieder berühre.
Das tut die berühmte Springladenorgel in der Tat. So empfinden es all jene, die die Königin der Instrumente seit ihrem Wiedereinbau nach fünf Jahren des Schweigens gehört haben. Erik Winkel dankte in der Rückschau auf die Restaurierung ebenso wie Pfarrdechant Krismanek und der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstands, Josef Kowalski, den am Projekt beteiligten Fachleuten und auch den vielen Unterstützern, die der Förderverein „Chorus“ unter dem Vorsitz von Hermann Doninger gewinnen konnte. Der Verein hat 350.000 Euro Spendengelder gesammelt und darüber hinaus den 300.000-Euro-Zuschuss der NRW-Stiftung akquiriert. Damit waren zwei Drittel der Kosten von etwa 968.000 Euro gedeckt. Der Präsident der NRW-Stiftung, Ex-Landesminister Eckhard Uhlenberg, begründet die großzügige Förderung in seinem Grußwort in der Festschrift mit dem von „Chorus“ mobilisierten ehrenamtlichen Engagement für den Erhalt eines einzigartigen Kulturerbes.
Konzert würdigt Engagement
Für dieses Engagement sei das Konzert mit Sietze de Vries eine ausdrucksstarke Würdigung, konstatierte Josef Kowalski. Es sei außerdem eine Bestätigung der Persönlichkeiten, die vor mehr als zehn Jahren einer Vision folgten und die Initiative zur Restaurierung ergriffen hatten: die Pfarrdechanten Andreas Kurte und Ludger Eilebrecht, Josef Risse vom Kirchenvorstand, Jörg Kraemer als Orgelbeauftragter des Erzbistums, der Gründungsvorsitzende des Fördervereins, Hubertus Backhaus († 2012), und sein Nachfolger Hermann Doninger sowie Architekt Albert Henne. Dank galt auch dem Bau- und Finanzplaner Franz-Josef Beine († Februar 2021).
Das Konzert mit Sietze de Vries sei auch klangvoller Ausdruck der Anerkennung für die Mitarbeiter der Firma Flentrop. Ihrer Professionalität sei es zu verdanken, „dass wir unsere wiederbelebte Andreas-Schneider-Orgel auch zukünftig zu den bedeutendsten historischen Orgeln in Europa und in der Welt zählen dürfen“, würdigte Josef Kowalski.
Herausfordernde Projekte stehen bevor
Der Festtag und der unvergleichliche Klang der restaurierten Orgel soll, so der geschäftsführende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, „uns stets Erinnerung, Mahnung und Aufruf zu Mut und Entschlossenheit sein“. So wie die Restaurierung der Orgel ein Erfolg war, weil Initiatoren, Unterstützer und Orgel-Baumeister Segel und Steuer richtig gesetzt hätten, so müsse der Leitgedanke „Gottes sind Wogen und Wind, aber Segel und Steuer sind Euer, dass Ihr den Hafen gewinnt“ auch künftig ein Kompass sein. Denn die Kirchengemeinde und die Stadt stünden vor herausfordernden Projekten: die barrierefreie Erschließung des Westwerks, die multimediale, zeitgemäße Weiterentwicklung des Welterbes, das Jubiläum „1200 Jahre Corvey“ ab September 2022 und schließlich die Landesgartenschau 2023. „Hier müssen Segel und Steuer richtig eingestellt sein.“
Kirchengemeinde gibt Festschrift heraus
Dass die Orgelrestaurierung, deren Abschluss das Konzert mit Sietze de Vries krönte, unter den guten Vorzeichen entschlossenen und verantwortungsvollen Handelns stand, dokumentiert die von der Kirchengemeinde herausgegebene Festschrift (Redaktion Hans Hermann Jansen), die im Pfarrbüro und nach den Gottesdiensten in Corvey erhältlich ist. Auf 115 Seiten fächert sich die Geschichte Corveys, die Historie der Orgel, die Szenographie des Barock, die Restaurierung des historischen Instruments und nicht zuletzt das großartige Engagement des Fördervereins in den Beiträgen vielseitig auf. Die reiche Bebilderung unterstreicht den überzeugenden Gesamteindruck dieses Lesebuchs. In Kürze wird auch eine erste CD erscheinen. Egbert Schoenmaker intoniert auf der Barockorgel Werke unter anderem von Susato, Pachelbel, Buxtehude, Froberger und Weckmann.
Alles in allem unterstreicht dieser Festtag mit Konzert und anschließendem Empfang im Refektorium ebenso wie die feierliche Orgelweihe durch Weihbischof Manfred Grothe im Juni einen Gesamteindruck, den Bürgermeister Daniel Hartmann in seinem Grußwort in der Festschrift treffend auf den Punkt gebracht hat: Mit der restaurierten Barockorgel „erhält die ehemalige Abteikirche zu Corvey ihr Herz zurück“.