JubiläumPresseZEITREISE Corvey

Corvey – Erfolgsmodell benediktinischen Lebens

By 26. Mai 2023März 6th, 2024No Comments

Die Benediktinerabtei Corvey erlebte gleich nach ihrer Gründung 822 bis ins 11. Jahrhundert eine Blütezeit. Dann setzte ein Niedergang ein. Der Stern sank. Tat er das wirklich? Professor Dr. Mirko Breitenstein, Referent der dritten Etappe der „Zeitreise“ in Corveys große monastische Geschichte, beantwortet diese Frage nicht pauschal mit „Ja“. Im Gegenteil: Das Kloster am Weserstrand habe als Erfolgsmodell benediktinischen Lebens im Hochmittelalter eine Rolle gespielt und sei über Jahrhunderte hinweg Bestandteil monastischer Reformbewegungen gewesen.

Professor Dr. Christoph Stiegemann (links), Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde, dankt dem Referenten des Abends, Dr. Mirko Breitenstein.

Professor Dr. Christoph Stiegemann (links), Leiter des wissenschaftlichen Kompetenzteams der Kirchengemeinde, dankt dem Referenten des Abends, Professor Dr. Mirko Breitenstein. Wir haben seinen Vortrag zum Nachlesen dokumentiert. Sie finden den Link am Ende dieses Beitrags. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Von einem Abstieg nach der frühmittelalterlichen Wirkmächtigkeit und Strahlkraft war also überhaupt nicht die Rede, als Professor Breitenstein im Rahmen der Vortragsreihe zum 1200-jährigen Bestehen des Klosters Corvey die Jahrhunderte nach der großen Blütezeit der Abtei in den Blick nahm. Der Referent war aus Dresden, dem Elb-Florenz, zur Welterbestätte an die Weser gekommen. An der Technischen Universität in Sachsens Landeshauptstadt ist er seit 2020 Direktor der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte (FOVOG).  Zuvor war er zehn Jahre lang Arbeitsstellenleiter des Projekts „Klöster im Hochmittelalter. Innovationslabore europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle“ der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.

Erneuerungsbewegungen des Mittelalters

In der ehemaligen Abteikirche des Weserklosters ließ er jetzt das benediktinische Leben auch in seiner kulturellen und politischen Dimension und im Kontext der großen Erneuerungsbewegungen des Mittelalters aufleuchten. Corveys Position in diesem Zusammenhang konnte Mirko Breitenstein dank der Leinwand, die für die „Zeitreise“ zur Verfügung steht, eindrücklich veranschaulichen: Der Referent zeigte dem erfreulich großen Zuhörerkreis die Ebstorfer Weltkarte.

Auf der Ebstorfer Weltkarte, in deren Mittelpunkt Jerusalem steht, hat Corvey einen Platz. Dr. Mirko Breitenstein erläuterte in seinem Zeitreise-Vortrag die Karte.

Auf der Ebstorfer Weltkarte, in deren Mittelpunkt Jerusalem steht, hat Corvey einen Platz. Professor Mirko Breitenstein erläuterte in seinem Zeitreise-Vortrag die Karte.

Sie ist die bekannteste und größte Weltkarte aus dem Mittelalter. Wahrscheinlich Anfang des 14. Jahrhunderts entstanden, spiegelt sie die damalige Bedeutung des benediktinischen Ordenslebens wider und enthält 53 geistliche Orte auf dem Gebiet des alten deutschen Reiches. Einer von ihnen ist Corvey. Trotz Niedergangs hat die Abtei einen Platz auf dieser Karte.

Schon im zehnten Jahrhundert hatten Reformen zur strengeren Auslegung der Regeln des Ordensgründers Benedikt von Nursia eingesetzt, berichtete Professor Breitenstein. Das bekannteste Reformkloster sei neben Gorze bei Metz die Abtei Cluny in Burgund gewesen. In der Hochzeit der cluniazensischen Reform hätten mehr als 1000 Klöster zu Cluny gehört. Die seien allesamt nur Priorate gewesen.  Das Schicksal, zu einem solchen zentralistischen Verbund zu gehören, sei Corvey erspart geblieben. Es habe sich der lothringischen Lebenspraxis, also der von Gorze ausgehenden Reformbewegung, angeschlossen, womit Orientierung an den Lebensgewohnheiten dieses Klosters impliziert war, aber keine Form rechtlicher Abhängigkeit.

Abt aus Kloster Lorsch in Corvey eingesetzt

Heinrich II., der letzte Ottone, habe 1015 mit Druthmar in Corvey einen Abt aus dem Kloster Lorsch eingesetzt. Dieses sei Anhänger der Klosterreform aus dem lothringischen Gorze gewesen.

Mit der Hirsauer Reformbewegung habe sich Corvey dann unter Abt Markward (1081 – 1107) in ein wichtiges klösterliches Netzwerk eingebunden. Professor Breitenstein zitierte aus den Pegauer Annalen zum Jahr 1101: „Zu jener Zeit blühte die strenge Ordensdisziplin, die nach dem Hirsauer Ordo überall schon in lobenswerter Weise sich verbreitete, vor anderen sächsischen Klöstern in der königlichen Abtei Corvey, die damals als Abt Herr Markward leitete, ein der Verehrung und des Gedächtnisses würdiger Mann.“

Vorbild auch für diese Reformbewegung war, so der Wissenschaftler, das Kloster Cluny. Die Abtei im Burgund sei der „hellste Stern am Klosterhimmel“ und „erste Wahl“ gewesen, wenn es um benediktinische Erneuerung ging. Das zeige sich in den von Wilhelm von Hirsau aufgezeichneten „Constitutiones Hirsaugienses“. Im Prolog erfährt die Nachwelt, dass das schwäbische Kloster „gelehrige Schüler“, so Professor Breitenstein, nach Cluny entsendet hat, um über die in zwei kleinen Büchern festgehaltenen Verhaltensregeln hinaus mehr zu erfahren und die „Geheimnisse jenes Ordens“ zu begreifen.

Laienbrüder übernahmen schwere Arbeit

Dr. Mirko Breitenstein bei seinem Vortrag in Corvey.

Professor Mirko Breitenstein bei seinem Vortrag in Corvey.

Damit die Mönche sich ihren liturgischen Aufgaben intensiver widmen konnten, sind im Zuge der Hirsauer Reformbewegung Laienbrüder – so genannte Konversen – in die Klöster aufgenommen worden, berichtete der Referent. Diese Laienbrüder lebten nicht im Konvent und übernahmen körperliche Arbeit. „Damit trugen die Konversen in den vom Adel dominierten Klöstern dazu bei, den Mönchen ein standesgemäßes Leben bieten zu können“, erläuterte Mirko Breitenstein. Auch traf er eine grundsätzliche Einordnung: „Für Corvey ist die Hirsauer Phase von großer Bedeutung gewesen, weil die Abtei um 1091 einer der wirkmächtigsten Multiplikatoren dieser Bewegung wurde und wichtige Klöster von hier aus reformiert oder neu gegründet wurden.“

Einer weiteren wichtigen Reformbewegung des Mittelalters, der Bursfelder Kongregation, sei Corvey etwas später – 1501 – beigetreten. In der Weserabtei habe mehrfach das Generalkapitel getagt.

Corvey habe, so der Referent in seinem Fazit, von Gorze bis Bursfelde zwar immer in der zweiten Reihe gestanden. Aber: „Die Äbte schafften es, sich an den jeweiligen Modellen ihrer Zeit zu orientieren.“ Daher sei die Weserabtei tatsächlich ein Erfolgsmodell benediktinischen Lebens gewesen. Sie war am Puls der Zeit. Der angebliche Niedergang nach dem 11. Jahrhundert sei ein Stück weit auch weniger der tatsächlichen Bedeutung des Klosters zu verdanken als seiner Wahrnehmung infolge einer „Erhöhung“ der frühen Blütezeit in der Geschichtsschreibung.

Corveys kometenhaften Aufstieg nach der Gründung 822 ordnete Dr. Breitenstein zu Beginn seines Vortrags ein. Im Aachener Konzil von 816 war festgelegt worden, dass mönchisches Leben ausschließlich nach der Benediktsregel erfolgen soll. „Unter dem Vorzeichen dieser Exklusivität stand die Klostergründung durch die Mönche aus Corbie.“

Filmbeiträge mit Musik

Die Filmbeiträge mit Musik versetzten die Zuhörer in die (Reise-)Zeit des Vortrags.

Die Filmbeiträge mit Musik versetzten die Zuhörer in die (Reise-)Zeit des Vortrags.

Die Abtei an der Somme sei eines der wirkmächtigsten Muster benediktinischer Lebensordnung gewesen. Und ihr Abt, Adalhard, sei gleichzeitig Abt von Nova Corbeia (Corvey) geworden. Das neue Kloster habe unter dem Schutz der Herrscherfamilie gestanden und dadurch ein großes Territorium aufgebaut. Damit sei die wirtschaftliche Grundlage für den Erfolg Corveys gelegt worden.

Die Filmbeiträge mit Musik versetzten die Zuhörer in die (Reise-)Zeit des Vortrags. Sie weckten aber zugleich auch Vorfreude auf die nächste Etappe. Sie führt am Donnerstag, 1. Juni, ins Corveyer Skriptorium. Der Schriftkünstler Brody Neuenschwander ließ sich für die musikalischen Filmbeiträge bei seiner Arbeit mit der Kamera begleiten und vermittelte den Gästen das Gefühl, bei der Entstehung einer der so bedeutenden Corveyer Handschriften dabei zu sein.

Bei einem Glas Jubiläumswein konnten die Besucher sich vor dem Westwerk in sonniger Abendstimmung über Corvey, seine unvergängliche Aura und die im Vortrag so anschaulich dargestellte Position des Klosters in den Reformbewegungen des Mittelalters austauschen.

Text: Sabine Robrecht

Zum Nachlesen: Zeitreise Corvey, Vortrag von Dr. Mirko Breitenstein