Die ehemalige Benediktinerabtei Corvey –
Erinnerungsort christlich-klösterlicher Tradition

Das UNESCO-Weltkulturerbe „Karolingisches Westwerk und die Civitas Corvey“ ist einer der bedeutendsten Erinnerungsorte der christlich-klösterlichen Geschichte. Corvey war vom 9. bis in das 12. Jahrhundert ein „Leuchtturm der Christianisierung“. Dabei ist das karolingische Westwerk, aus rotem Solling-Sandstein errichtet, das „Gesicht der Welterbestätte“.

799

In Paderborn findet ein denkwürdiges „Gipfeltreffen“ statt. Karl der Große und Papst Leo III. kamen an der Pader zusammen. Es war in der Schlussphase des mehr als dreißig Jahre währenden Eroberungskrieges gegen die Stämme der Sachsen. Überzeugungsmission sollte nun die Sachsen für das Christentum gewinnen. Der Plan sah neben dem Aufbau einer Bistumskirchenstruktur die Gründung eines Benediktinerklosters als Missionszentrum vor. Gemäß dem Willen Karls sollten die Mönche des schon seit den 660er Jahren an der Somme bestehenden westfränkischen Benediktinerklosters Corbie (Corbeia antiqua) diesen Missionsauftrag übernehmen. Nach dem Tod Karls des Großen im Jahre 814 setzte sein Sohn Ludwig der Fromme die Vision seines Vaters in die Tat um.

815

An einem Hethis genannten Ort (wohl im Solling) erfolgte nach einer Synode in Paderborn im Jahre 815 der erste Gründungsversuch. Kaiser Ludwig und auch der erste Bischof des 805/806 gegründeten Bistums Paderborn, Hathumar, stimmten den Planungen des Abtes Adalhard des Jüngeren von Corbie zu. Es war, wie sich herausstellen sollte, aufgrund mangelhafter klimatischer und wirtschaftlicher Voraussetzungen eine Fehlinvestition. Deshalb traten Abt Adalhard der Ältere und die Mönche nach einer Hilfsexpedition an die Weser mit einer Petition an Kaiser Ludwig heran, ihnen den Ort zuzuweisen, den sie erkundet hatten. Der Kaiser übertrug ihnen das Gelände am wichtigen Weserübergang und der Kreuzung des Hellwegs mit der „Bremer-Fernstraße“. Dieses hatte er, auf Initiative der Mönche hin, von einem sächsischen Grafen Bernhard erworben.

822

Im August 822 begannen die Mönche im Weserbogen den Neuanfang. Nach Gebet und Gottesdienst erfolgten erste Planungen. Ende August weihte der zweite Bischof von Paderborn, Badurad, den Gründungsort. Bereits Ende September war der gesamte Konvent aus dem Solling ins Wesertal umgezogen. Der Klosterbau begann zunächst als Tochtergründung Corbeia nova des Mutterklosters Corbie (Corbeia antiqua).

823

Der Fundationsbrief, die Gründungsurkunde Ludwigs des Frommen, sollte das Kloster als kaiserliche Stiftung schnell in die Unabhängigkeit vom Mutterkloster führen. Dieses Privileg des Kaisers war die erstmalige Überlieferung des Ortes an der Weser als villa regia in loco nuncupante dudum Hucxori, also „königliche Gutsherrschaft an dem Ort, der schon länger Höxter heißt“. Die gewährte Autonomie bedeutete freie Abtswahl, Markt- und Münzrecht (seit 833), Immunität (Freiheit von Diensten, Abgaben und Eingriffen von außen) sowie Reichsunmittelbarkeit.

836

Hinzu kam im Jahre 836 eine bedeutende Erweiterung der geistlichen Substanz des Klosters. Bereits 823 hatte Ludwig der Fromme Reliquien des Erzmärtyrers Stephanus aus der Pfalzkapelle Aachen gestiftet. Nun wurden mit der Translatio sancti Viti in einem vom zweiten Abt Warin angeführten mehrwöchigen Triumphzug die Gebeine des Heiligen Vitus, der in der Christenverfolgung des Römischen Kaisers Diokletian Anfang des 4. Jahrhunderts hingerichtet worden war, aus dem Kloster St. Denis bei Paris nach Corvey überführt. Diese Reliquien hatte Abt Hilduin, bei Kaiser Ludwig in Ungnade gefallen und nach Corvey verbannt, seinem Freund Abt Warin versprochen, sollte er als Abt wieder nach St. Denis zurückkehren können. Die beiden Hauptpatrozinien begründeten die herausragende Bedeutung Corveys als Verehrungs- und Pilgerort

844

Im Jahre 844 wurde die erste Kirche, eine dreischiffige Basilika mit rechteckigem Chor, zweigeschossiger Scheitelkapelle und westlich vorgelagertem Atrium, eingeweiht. Der sich vergrößernde Konvent adeliger Mönche führte zu Veränderungen und Erweiterungen. So entstand dann bis in der Mitte der 860er Jahre eine dreischiffige Basilika mit Querarmen, größerem Chor, östlicher kreuzförmiger Scheitelkapelle und seitlichen Stollenkrypten.

873 bis 885

In den Jahren 873 bis 885 erfolgte der Bau des Westwerks, unter Abt Adalgar begonnen und durch Abt Bovo I. vollendet. Der Mittelturm und die flankierenden Seitentürme bildeten bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts die tres turres, die drei Türme von Corvey.

Man kann davon ausgehen, dass das Benediktinerkloster Corvey zur Mitte der 880er Jahre mit der Kirche, dem Westwerk, den Konvent- und Wirtschaftsgebäuden fertiggestellt war. Es entwickelte sich zunehmend zu einem Missionszentrum, zu einem Ausstrahlungsort der Christianisierung. In seiner Blütezeit bis in das 12. Jahrhundert hinein dienten im Kloster Corvey zwischen 40 und 70 Mönche, die Söhne adeliger Familien. Mit seiner berühmten Klosterschule war die Benediktinerabtei eine bedeutende Lern-, Studien- und Ausbildungsstätte des sächsischen und fränkischen Adels und mit seinem Skriptorium ein Ort der Speicherung und Weitergabe des Wissens, insgesamt also ein Zentrum der Bildung und Wissenschaft. Inzwischen waren dem Kloster weitere umfangreiche Güterkomplexe übertragen worden. Diese Grundherrschaft machte Corvey zu einem leistungsstarken „Wirtschaftsunternehmen“. Mit seiner Wirtschaftskraft waren die Voraussetzungen geschaffen für die Versorgung königlicher/kaiserlicher Hofhaltung in der „Klosterpfalz“. Bis Ende des 12. Jahrhunderts haben zwischen 100 bis 120 Besuche von Königen/Kaisern stattgefunden. Corvey war also während dieser Ereignisse auch ein Zentrum politischer Machtentfaltung. So leistete das Kloster neben der Missionierung zudem einen wesentlichen Beitrag zur Landesentwicklung.

1145 bis 1220

Im 12. Jahrhundert zeichnete sich mit der Auflösung von Grundherrschaften ein Niedergang

ab. Mit dem Besitzverlust ging ein sich fortsetzender wirtschaftlicher und geistiger Verfall einher. Dennoch erfuhr das Kloster mit der Verleihung des Titels „Reichsabtei“ durch den Stauferkönig Konrad III. im Jahre 1145 nochmals eine deutliche Aufwertung. Es war die Zeit des bedeutenden Abtes Wibald von Stablo (1146-1158), unter dem das Westwerk in die noch heute sichtbare Zweiturmanlage umgebaut wurde. Ein noch bedeutenderer Vorgang ereignete sich im Jahre 1220. Der Stauferkaiser Friedrich II. erhob mit der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis (Bündnis mit den Fürsten der Kirche) auch die Reichsabtei Corvey zur Fürstabtei.

1533 bis 1634

In der Hauptstadt des kleinen Fürstentums wurde im Jahre 1533 durch die Initiative und den Einfluss Landgraf Philipps des Großmütigen von Hessen die Reformation eingeführt. Es war ein einschneidendes Ereignis, denn die Abtei blieb das katholische Benediktinerkloster. Dies war ein sich fortsetzender Spannungsbogen zwischen dem Fürstabt als Landesherrn und dem Stadtrat seiner Hauptstadt. Die religiösen Streitigkeiten unter den Bürgern um die Kirchen in Höxter gipfelten schließlich in den Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zwischen der „Protestantischen Union“ (1608) und der „Katholischen Liga“ (1609). Truppen der Katholischen Liga griffen um Ostern 1634 die der Reformation beigetretene Hauptstadt des Fürstentums an. Es kam zum „Blutbad von Höxter“ mit ca. 1.500 Toten. Im Kloster Corvey verursachten ein großer Brand und marodierende braunschweigische, brandenburgische und schwedische Truppen starke Zerstörungen. Das Klosterleben des ohnehin kaum noch existierenden Konvents kam zum Erliegen.

1661

Nachdem der alte Fürstabt Arnold von Waldois gestorben war, übernahm 1661 eine führungsstarke Persönlichkeit, der Fürstbischof von Münster, Christoph Bernhard von Galen, die Verantwortung für das darniederliegende Kloster. Vom Konvent zum neuen geistlichen und weltlichen Herrn von Corvey gewählt, wurde Christoph Bernhard von Galen von Papst Alexander VII. neben seinem Bischofsamt in Münster als Administrator von Corvey bestätigt. Seine Initiativen leiteten für die Benediktinerabtei eine neue positive Entwicklung ein.

1667 bis 1681

Nach dem Abriss der stark beschädigten karolingischen Basilika begann am 31. März 1667 der Neubau der Abteikirche. Dabei blieb das symbolträchtige Westwerk, dessen Türme unter Fürstabt Theodor von Beringhausen 1585 die noch heute weithin sichtbaren Giebelaufsätze und Helme erhalten hatten, unangetastet. Die Barockkirche, wie wir sie heute kennen, war unter Fürstabt Christoph von Bellinghausen (1678-1696) mit dem Einbau der Springladenorgel des Höxteraners Andreas Schneider 1681 bis 1683 fertiggestellt.

1699 bis 1740

Unter den nachfolgenden Fürstäbten Florenz von dem Felde (1696-1714), Maximilian von Horrich (1714-1721), Carl von Blittersdorf (1722-1737) und Caspar von Böselager (1737-1757) erfolgte mit der Grundsteinlegung im Jahre 1699 der Neubau der Benediktinerabtei. Um 1740 waren die Konventsgebäude, die Gebäude der Vorburg, das Teehaus und die Wirtschaftsanlagen fertiggestellt. Das Kloster zeigte sich nun mit seiner barocken Architektur zugleich als würdige Residenz des Fürstabts des Heiligen Römischen Reiches.

1782

Im Jahre 1782 erreichte Fürstabt Theodor von Brabeck (1776-1794) die Nachricht über die Reformpläne des habsburgischen römisch-deutschen Kaisers Joseph II. Über 700 „unnütze“ Abteien sollten aufgehoben werden. Davon war auch Corvey betroffen. 1783 war die Abteikirche von Papst Pius VI. noch zur Kathedralkirche erhoben worden, eine mit Privilegien und Pflichten verbundene besondere Ehre. Der Fürstabt ergriff die Initiative und nach Jahren der Verhandlungen wurde die Abtei im Januar 1794 mit Zustimmung des Kaisers in ein Bistum umgewandelt. Bis zur Säkularisation (1803) war Corvey nun ein Fürstbistum. Ferdinand von Lüninck, seit Oktober 1794 Nachfolger des an den Folgen eines Schlaganfalls verstorbenen Theodor von Brabeck, blieb jedoch bis zu seinem Tod 1825 Bischof von Corvey, während die Corveyer Grundherrschaft in weltliche Hände gegeben wurde. Als Spätfolgen der Säkularisation und des Wiener Kongresses (1814/1815) wurde das ehemalige Benediktinerkloster vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. 1820 dem Landgrafen von Hessen-Rotenburg übereignet. Er setzte 1834 seinen Neffen, Viktor von Hohenlohe-Schillingsfürst, als Erben ein, der 1840 vom preußischen König zum ersten „Herzog von Ratibor und Fürsten von Corvey“ ernannt wurde. Damit erfolgt die Gründung des heutigen Herzoglichen Hauses.

1821 bis heute

Das kleine Bistum Corvey konnte auf Dauer keinen Bestand haben. Die Bulle des Papstes Pius VII. De salute animarum gliederte das kleine Corveyer Bistum im Jahre 1821 als „Dekanat Höxter“ in das Bistum Paderborn ein. Die ehemalige Abtei- und kurzzeitige Kathedralkirche ist heute als Pfarrkirche das Eigentum der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus.

822 bis 2022

1200 Jahre Corvey

Ein bedeutsames Jubiläumsjahr rückt in den Fokus.

Die historische Wissenschaft ist übereinstimmend der Auffassung, dass das Christentum für die Entstehung Europas konstitutiv war. Damit stellt Corvey in seiner Blütezeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert einen Meilenstein auf dem Weg der Europawerdung und der Entstehung des christlichen Abendlandes dar. In Corvey liegen starke Wurzeln unserer christlich-abendländischen Kultur.

Dieser grundsätzliche Gedanke wird in den kommenden Jahren ganz maßgeblich die konzeptionellen Überlegungen und inhaltlichen Planungen für das Jubiläumsjahr 2022 bestimmen.

Erstellt von Josef Kowalski

Literatur

  • Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter,Darmstadt 2009.
  • Werner Altmeier, Corvey. Ein Wegweiser durch seine Geschichte und die heutige Anlage, Höxter 1996.
  • Sveva Gai, Karl Heinrich Krüger und Bernd Thier, Die Klosterkirche Corvey. Geschichte und Archäologie, Darmstadt 2012.
  • Andreas König, Höxter 1. Höxter und Corvey im Früh- und Mittelalter, Hannover 2003.
  • Günter Tiggesbäumker, Corvey. Welterbe an der Weser, Berlin 2015.
  • Lutz E. von Padberg, Die Christianisierung Europas im Mittelalter, Stuttgart 2009.
  • Lutz E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt 2006.