JubiläumZEITREISE Corvey

Corvey und die Mission im alten Sachsen

By 25. August 2023März 6th, 2024No Comments

Bei den frühen Klostergründungen im alten Sachsen bis ins Jahr 1024 war der Anteil der Frauenkonvente mit fast 50 Prozent so hoch wie es sich viele Unternehmen in heutiger Zeit für ihre Frauenquote wünschen. Diesen bemerkenswerten Befund erläuterte Professor Dr. Caspar Ehlers, Frankfurt am Main, im Rahmen seines „Zeitreise“-Vortrags in Corvey.

Die siebte Etappe der „Zeitreise“ in Corveys große monastische Geschichte führte ins frühe Mittelalter. Kirchenvorstand Josef Kowalski (links) und Professor Dr. Christoph Stiegemann (Mitte) dankten dem Referenten des Abends, Professor Dr. Caspar Ehlers. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey hat die Reihe in Kooperation mit dem Netzwerk Klosterlandschaft OWL anlässlich des 1200-jährigen Bestehens der ehemaligen Benediktinerabtei initiiert. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Die siebte Etappe der „Zeitreise“ in Corveys große monastische Geschichte führte ins frühe Mittelalter. Kirchenvorstand Josef Kowalski (links) und Professor Dr. Christoph Stiegemann (Mitte) dankten dem Referenten des Abends, Professor Dr. Caspar Ehlers. Die Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus Corvey hat die Reihe in Kooperation mit dem Netzwerk Klosterlandschaft OWL anlässlich des 1200-jährigen Bestehens der ehemaligen Benediktinerabtei initiiert. Fotos: Kirchengemeinde Corvey/Sabine Robrecht

Die hochkarätige Reihe im Rahmen des 1200-jährigen Bestehens der ehemaligen Benediktinerabtei erlebte in der ehemaligen Abteikirche eine erkenntnisreiche siebte Etappe. Zum großen Zuhörerkreis gehörten wieder viele Stammgäste. Das durchweg rege Interesse freut die gastgebende Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus außerordentlich.

Die „Zeitreise“ führte ins frühe Mittelalter. Professor Ehlers, Koordinator des Forschungsfeldes „Geistliche und weltliche Rechtskulturen im europäischen Mittelalter“ und des Projektes „Recht und Mission“ am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main, beleuchtete die christliche Mission in Sachsen vom 8. bis 10. Jahrhundert. Klöster wie Corvey spielten hier im Zusammenhang mit Bistumsgründungen – also der Schaffung einer kirchlichen Infrastruktur – eine bedeutende Rolle.

Professor Ehlers, Koordinator des Forschungsfeldes „Geistliche und weltliche Rechtskulturen im europäischen Mittelalter“ und des Projektes „Recht und Mission“ am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main, beleuchtete die christliche Mission in Sachsen vom 8. bis 10. Jahrhundert.

ProfessorDr. Caspar  Ehlers, Koordinator des Forschungsfeldes „Geistliche und weltliche Rechtskulturen im europäischen Mittelalter“ und des Projektes „Recht und Mission“ am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main, beleuchtete die christliche Mission in Sachsen vom 8. bis 10. Jahrhundert.

Professor Ehlers erläuterte zunächst den historischen Hintergrund der Entstehung der Klöster – und nahm die Zuhörenden mit in die Zeit der Sachsenkriege Karls des Großen von 771/772 bis 804.  Der sächsische Raum lag jenseits des Limes, also außerhalb des römischen Reiches. Kulturkontakte gab es zwar, so Professor Ehlers, weil sächsische Männer im römischen Militär dienten. Archäologische Funde legen Zeugnis darüber ab. Verwaltung und Infrastruktur nach römischem Vorbild hat es aber nicht gegeben. Auch das Christentum spielte im Land der Sachsen keine Rolle.

Die Mission auf dem europäischen Kontinent hatte indes schon früher, im 7. Jahrhundert, von den britischen Inseln aus begonnen. „Von Friesland aus setzte sie sich dann nach Osten fort“, berichtete Professor Ehlers. Als in den 70-er Jahren des 8. Jahrhunderts die Feldzüge Karls des Großen nach Sachsen begannen, war Mainz bereits Bischofssitz. Und: „Die Missionsbemühungen der Franken jenseits des ehemaligen Limes in dem von den Römern Germanien genannten Gebiet hatten in Gestalt von Bonifatius schon zuvor von Mainz ihren Ausgang genommen. Dessen Zielgebiet waren bislang nicht christianisierte Gebiete im heutigen Hessen, Thüringen und Niedersachsen. Fulda, Fritzlar und Erfurt, aber auch Würzburg und Eichstätt, wären als bedeutende Orte zu nennen, die der beabsichtigten Sachsen- beziehungsweise Slawenmission dienten.“

Sachsenkriege: Eroberer stießen auf  massiven Widerstand

Nach dem Eintritt in die kriegerische Phase der Mission ab 772 wurden, so Professor Ehlers, von Mainz und dem Rhein-Main-Gebiet aus militärische Unternehmungen gestartet (etwa im September 774 aus Ingelheim). Zu den Schauplätzen der 30 Jahre andauernden Sachsenkriege gehörten auch Orte in den heutigen Kreisen Höxter, Lippe und Hochsauerland: Detmold (783), Schieder (784), Paderborn (778, 794), der Brunsberg bei Höxter (775), Sindfeld (794, Hochplateau im Kreis Paderborn), Fritzlar (773/74), Obermarsberg (Eresburg, 772, 773/74, 775 und 776).

Die „Zeitreise“ stößt auf reges Interesse. Zum großen Zuhörerkreis gehörten wieder viele Stammgäste. Die durchweg große Resonanz freut die gastgebende Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus außerordentlich.

Da die Sachsen in dieser Zeit nicht schriftlich lebten, hinterließen sie keine Aufzeichnungen. Daher geben der Forschung nur fränkische Quellen Auskunft, informierte der Referent.

Überliefert ist, dass sich die Menschen damals nicht im Handstreich bekehren ließen. Die fränkischen Eroberer stießen auf massiven Widerstand. Nach einzelnen Landnahmen zogen sich die Truppen in den ersten Jahren wegen des Wetters über den Winter zurück. Professor Ehlers: „Sie dachten, kleinere Siege und die Zwangstaufe der Besiegten würde reichen.“ Das war ein Trugschluss: Bei ihrer Rückkehr im Frühjahr lebten die Menschen wieder in ihrem gewohnten Götterglauben. Die Eroberer reagierten darauf: Sie blieben länger und bauten Burgen.

Hinter den ersten Kirchengründungen dieser Zeit stand natürlich eine Strategie: Die Franken hatten, wie Professor Ehlers ausführte, schon zu Beginn ihrer Feldzüge beschlossen, das sächsische Gebiet in Kirchenprovinzen und Bistümer zu gliedern, „obschon eine solche Raumordnung zunächst nur von einzelnen Orten ausgehen konnte, da die Flächen weder klar umschrieben noch erschlossen waren“. Grob gesagt sei dabei Westfalen von Köln und Ostsachsen von Mainz aus gegliedert worden. „Das Erzbistum Mainz erstreckte sich über ganz Hessen nach Nordosten bis in das Eichsfeld, die Suffraganbistümer der Kirchenprovinz entstanden in Halberstadt, Hildesheim, Paderborn und Verden“. Auch Osnabrück gehörte zu den frühen Missionsbistümern im Sachsenland.

Zentralorte dürften um 800 festgestanden haben

Obwohl ein solch ambitionierter Prozess weder aus einer Entscheidung des 800 zum Kaiser gekrönten Frankenherrschers Karl noch aus einem bestimmten Termin hervorgegangen sei, „dürften um das Jahr 800 die Zentralorte dieses Plans festgestanden haben“, betonte Professor Ehlers. Im Verlauf des neunten Jahrhunderts seien aus diesen Orten die ersten Bischofskirchen und begleitend die Anfänge einer „Diözesanstruktur“ entstanden. Paderborn gehörte dazu.

Fahrt aufgenommen hat bei der Entstehung dieser Strukturen die Gründung geistlicher Gemeinschaften. Diese Fundationen dienten auch der Grenzziehung zwischen den Suffraganbistümern. „Bis 840 erlebte Sachsen eine Welle neuer Gründungen geistlicher Konvente für Frauen wie für Männer, wobei die lokale Konzentration der gewählten Orte südlich des Hellweges ins Auge sticht.“

Bis 840 erlebte Sachsen eine Welle neuer Gründungen geistlicher Konvente für Frauen wie für Männer. Eines dieser Klöster ist Corvey. Mönche aus der westfränkischen Benediktinerabtei Corbie gründeten das neue Kloster an der Weser.

Bis 840 erlebte Sachsen eine Welle neuer Gründungen geistlicher Konvente für Frauen wie für Männer. Eines dieser Klöster ist Corvey. Mönche aus der westfränkischen Benediktinerabtei Corbie gründeten das neue Kloster an der Weser.

Eines dieser Klöster entstand 822: Corvey. Die Türme des Westwerks der Benediktinerabtei ragen unweit eines Schauplatzes der Sachsenkriege in den Himmel: Unter dem wesernahen Brunsberg südlich von Höxter hatte 775, also 47 Jahre vor der Klostergründung, eine für die Franken erfolgreichen Schlacht getobt.

„Für das Gebiet des späteren Bistums Paderborn (etabliert ab 806/807) wäre Corvey die fünfte, beziehungsweise sechste, Gründung“ – nach St. Salvator Paderborn (Kanoniker), gegründet 777 durch Karl den Großen, einem Frauenkloster in Müdehorst, gegründet um 789 durch Waltger, St. Maria und Kilian (Domstift) Paderborn, gegründet 799 durch Karl den Großen, dem Frauenkloster St. Maria (und Pusinna) Herford, gegründet 800 (zwischen 789 und 823) durch Waltger (mit Adalhard und Wala), und Hethis, St. Martin (?), gegründet 815 ebenfalls Adalhard und Wala, Vettern Karls des Großen.

Hethis: Solling als Ort plausibel

Hethis ist das Vorgängerkloster Corveys. Sein Ort ist nicht nachgewiesen. Professor Ehlers hält die Theorie, dass es bei Neuhaus im Solling lag, auch aus standortstrategischer Sicht für plausibel. Ziel sei gewesen, die Räume von den Rändern aus nach innen zu erschließen. Daher hätten die Klöster immer eher am Rand ihres Einzugsgebiets gelegen. Ebenfalls diskutierte Orte wie die Externsteine oder Heiden/Lage erscheinen dem Wissenschaftler aus verschiedenen Gründen abwegig.

„Ab 820 wurde der Konvent an die Weser verlegt“, erläuterte Professor Ehlers. Von dem Kloster aus seien Schulen gegründet worden. Aber auch durch ihren unermesslichen Güterbesitz habe die Benediktinerabtei eine große Ausstrahlungskraft ins sächsische Land gehabt.

Vergoldete Kupferbuchstaben, ausgeführt in der antiken Majuskelschrift Capitalis Quadrata, zierten die berühmte Inschrifttafel aus der Gründungszeit des Klosters Corvey. Eine Kopie kündet an der Fassade des Westwerks vom in Stein gemeißelten Segenswunsch der Mönche für ihren Klosterbezirk. © Fraunhofer IGD

Ludwig der Fromme, Sohn und Nachfolger Karls des Großen, setzte mit der Gründung Corveys eine Vision seines Vaters um, betraute dessen Vettern Adalhard und Wala mit dieser besonderen Aufgabe und stattete die junge Abtei mit ihrem großen Grundbesitz aus. In der Zeit Ludwigs kam es, wie Professor Ehlers ausführte, in den 40-er Jahren des 9. Jahrhunderts zu einem Aufstand gegen dessen Herrschaft. In diesem sogenannten „Stellingaaufstand“ „hatten sich vermutlich diejenigen gewehrt, deren Besitz durch gutgemeinte Schenkungen verloren gegangen war und die sich nun gegenüber denen, die ihren Besitz für Stiftungen verwendet hatten, zurückgesetzt sahen“, erläuterte der Wissenschaftler. Corveys Abt Warin sei in der Unterstützung Ludwigs zunächst zurückhaltend gewesen, habe sich dann aber umstimmen und auf die Linie des karolingischen Herrschers einschwenken lassen.

Frühe christliche Infrastrukturen in Ostsachsen veranschaulichte Professor Ehlers anhand der Diözesen Hildesheim und Halberstadt. Dazu gehörten Gründungen von Pfarrkirchen. „Je niedriger die Strukturen desto spärlicher werden die Quellen“, konstatierte er. Es sei überliefert, dass der Bischof von Hildesheim Pfarrkirchen gegründet habe. „Die Quellen sagen uns aber nicht die Namen.“ Licht ins Dunkel bringe zum Glück sehr oft die Archäologie. Diese Erfahrung nutzte der Referent für ein Plädoyer zur interdisziplinären Zusammenarbeit der Wissenschaften.

Ost-West-Linie bei kirchlicher Raumordnung sichtbar

Was die kirchliche Raumordnung mit Reichsabteien und den Räumen der Bistümer angeht, sei um das Jahr 1000 herum immer noch die schon in der Mitte des 9. Jahrhunderts deutlich erkennbare West-Ost-Linie sichtbar. Eine Karte der Reichsabteien im ostfränkisch-deutschen Reich des Mittelalters zeigt diese Linie. Sie trennt eine „südliche, gut erschlossene von einer nördlichen, allenfalls durchdrungenen Hälfte“ zwischen Schleswig und Hildesheim. Die Grenze liegt auf der Linie Münster, Osnabrück, Herford, Minden, Fischbeck, Hildesheim, Magdeburg. „Auch während der Herrschaft der Ottonen, die bekanntlich eine aus Sachsen stammende Adelsfamilie waren, ändert sich trotz der weiteren Zunahme von Gründungen geistlicher Konvente im 10. und frühen 11. Jahrhundert nichts an diesem geographischen Befund.“

Der Hohe Dom zu Paderborn ist das Herzstück des Erzbistums. Für das Gebiet des Bistums, etabliert ab 806/807, gehört Corvey zu den ersten Klostergründungen.

Der hl. Liborius ist Schutzpatron des Erzbistums Paderborn. In einem vergoldeten Silberschrein werden die Reliquien alljährlich zum Liborfest Ende Juli im Hohen Dom ausgestellt und verehrt.

Professor Ehlers nahm in seinem Vortrag das Bistum Paderborn in der Zeit von 1024 bis 1500 genauer unter die Lupe. „Werden die Gründungen der Klöster, die eindeutig dem Paderborner Bistumsverband zuzuordnen sind, in eine Karte eingetragen und die jeweils außengelegenen miteinander durch eine Linie verbunden, ergibt sich ein gedachter diözesaner Innenraum. Dieser deckt sich – übrigens auch in den meisten anderen sächsischen Bistümern – mehr oder weniger mit dem späteren Hochstift, also der territorialen Herrschaftsgrundlage der jeweiligen Bischöfe“, veranschaulichte er anhand von Karten aufschlussreiche Erkenntnisse.

Beachtenswert sei dabei die räumliche – zentrifugale – Ausdehnung und die jeweiligen Bezüge zu einem Bischofssitz als Zentrum. „So entstanden die Kernräume der Diözesen (sogenannte Hochstifte), die noch bis weit in die Moderne hinein Bestand hatten.“ An diesem zeitlich gestreckten Vorgehen, das auch die Kirchenprovinz Köln in ihrem westlichen Teil des Sachsenlandes praktiziert habe, sei eine fränkische Besonderheit der Raumgliederung in der Saxonia zu erkennen. „Dies dürfte daran gelegen haben, dass keine ältere römische Infrastruktur vorhanden gewesen ist und daher die von der Verwaltungspraxis der Römer durch die Kirche übernommene Raumorganisation (in Civitates gegliederte Provinzen mit jeweiligen Hauptsitzen der Verwaltung) erst in einem langwierigen Prozess der Erschließung auf das Gebiet der Saxonia übertragen werden musste.“

Hohe Frauenquote bei den Klostergründungen

Professor Ehlers ordnete das alte Sachsen als Kirchen-, aber auch als Königslandschaft ein.

Professor Ehlers ordnete das alte Sachsen als Kirchen-, aber auch als Königslandschaft ein.

Die Klostergründungen in Sachsen bis 1024 untersuchte der Wissenschaftler auch im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis. „Von 137 Gründungen sind 60 Institute für Frauen (43,8 Prozent) und 77 für Männer (56,2 Prozent) gegründet worden.“ Ohne die Domstifte waren es nur 66, also 44,5 Prozent. „Vor allem, wenn man die Domstiftsgründungen ausklammert (denn hier gab es keine Wahl, es mussten Männer sein), zeigt sich der für die damalige Zeit bemerkenswert hohe Anteil der Fundationen für Damen in Sachsen bis 1024.“ Für Professor Ehlers zeigt sich in diesem Befund, wie intensiv Frauen an der Herrschaftsausübung in Sachsen beteiligt gewesen sind. „Die Rolle der Damen in der sächsischen Gesellschaft scheint eine höhere gewesen zu sein.“

Das alte Sachsen ist, so Ehlers‘ Resümee, „eine Kirchenlandschaft mit herausragender Architektur, aber auch eine Königslandschaft“. Die Kirche ordne den Raum früher als die weltliche Herrschaft. Der Ausblick des Referenten ist von Tatkraft und anhaltender Entdeckerfreude geprägt: „Es ist immer genug zu bewundern und zu forschen!“

Text: Sabine Robrecht

„Es ist immer genug zu bewundern und zu forschen": Der Ausblick des Referenten Professor Dr. Caspar Ehlers erfüllte auch die Zuhörenden des Abends mit Freude.

„Es ist immer genug zu bewundern und zu forschen”: Der Ausblick des Referenten Professor Dr. Caspar Ehlers erfüllte auch die Zuhörenden des Abends mit Freude.